Konsumträume auf Papier

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Die jüngste Untersuchung (Online-Befragung von 1.000 Konsumenten im Februar) des Medienanalysten IFH Media Analytics beschäftigt sich in seinem „Prospektmonitor“ mit der Rezeption von Werbeprospekten: Viele Anbieter (REWE, OBI) haben die Werbung mit gedruckten Prospekten eingestellt und setzen auf digitale Prospekte, andere planen das, einige aber sind auch dabei, sie wieder einzuführen. Denn offenbar vermissen viele Kunden Papier-Werbeprospekte, kaufen weniger und wünschen sich eine Wiedereinführung. Nur ein Viertel der befragten Verbraucher bewertet die Abschaffung als positiv.

Wenn das keine gute Nachricht ist: Die ökologische Vernunft siegt nun auch auf dem Feld, auf dem seit jeher der hartnäckigste Widerstand gegen jede Vernunft blüht, auf dem Feld des Konsums. Als der Lebensmittelkonzern REWE im vergangenen Jahr die gedruckte Werbung einstellte, führte er als Grund an, damit zig-Tausende Tonnen Papier, zig-Tausende Tonnen CO2 und hunderte Millionen Kilowattstunden Energie einzusparen. – Das sei eine „wichtige Entscheidung zum Wohle der Natur“ lobte der Naturschutzbund Deutschland. Und forderte andere Lebensmitteleinzelhändler auf, dem Beispiel zu folgen. 

Das ist inzwischen geschehen und wird – vielleicht – auch weiter Mode machen: Die Deutsche Post jedenfalls hat ihr Werbegeschäft „Einkaufaktuell“, mit dem sie wöchentlich Aber-Millionen von Briefkästen flutete, eingestellt. Die Baumarktkette „Obi“ ist ihr da bereits vor zwei Jahren vorausgeeilt und selbst Aldi hatte im letzten Jahr auf sein allseits beliebtes Prospekt „Aldi inspiriert“ verzichtet und verschickt es – wie viele andere „Mitbewerber“ – nur noch digital. Ob digitale Werbung tatsächlich umweltfreundlicher ist als die auf Papier, darüber schweigen REWE und der Naturschutzbund. Ob sie konsumentenfreundlicher ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Die einen erfreut es, nun nicht mehr täglich die Kiloschweren Packen eng- und buntbedruckten Papiers aus dem Hausflur, oder schlimmer, weil schwerer noch: sie Regen-durchweicht von vor der Haustür in den Papiercontainer schleppen zu müssen. Die Mehrheit aber überwiegt und trauert der ausgiebigen Lektüre der illustrierten Schnäppchen- Sonder- und Super-Sparangebote hinterher. Und dem damit verbundenen, allseits beliebten Vergleich: Wo kriege ich Hähnchenbrustfiles, Westfälischen Erbseneintopf, Waschmittel oder Klopapier am günstigsten?

Aber geht es tatsächlich bloß ums Vergleichen, Sparen und die Jagd nach dem günstigsten Schnäppchen? Der Verdacht liegt nahe, dass mit dem Blättern durch den nie enden wollenden Reigen bunter Produkt-Bilder in den gedruckten Werbeprospekten auch ein gewisser Lustgewinn verbunden ist. Denn wie anderes ist zu erklären, dass die meisten der Befürworter dieser Form der Werbung angeben, die Lektüre als „gemütlich“ und „entspannt“ wahrzunehmen?

Der Spott der Besserverdienenden verbietet sich hier sowieso. Aber auch die intellektuelle Herablassung gegenüber dem Vergnügen, sich bei der Betrachtung von Konsumartikeln zu berauschen. Und erst recht das heuchlerische Mitleid mit diesem scheinbaren Analphabetentum. Denn wer ehrlich ist, muss zugeben, dass diese magische Lust, sich die Dinge als Bilder einzuverleiben, dem Träumen und dem Wünschen entspringt. Und ist es da nicht gleich, ob ich in einem Manufaktum-Katalog oder in „Aldi inspiriert“ blättere?

WDR3 Mosaik 4. April 2025