Aufweichendes Demokratievertrauen

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Allen, die aufgrund der Wahlerfolge rechter Parteien und der Verbreitung autoritären Denkens Bange um die Demokratie in Deutschland ist, müsste das vergangene Wochenende Mut machen und wieder Zuversicht geben. Als Reaktion auf das Bekanntwerden eines Treffens von Rechtsextremen mit AfD-Vertretern in Potsdam, bei dem es um Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen ging, trafen sich in vielen deutschen Städten zehntausende von Demonstranten und bekannten sich zur Demokratie. Allerdings fragt sich, ob mit Demonstrieren allein die Demokratie verteidigt werden kann. Und wie die demokratischen Institutionen mit Leben gefüllt werden können. So, dass sie sich gegen autoritäre Vereinnahmungen wehren können. Ob das gelingen kann, hängt wesentlich davon ab, wie stark die Demokratie im Politikverständnis der Einzelnen verankert ist. Da jedoch sieht es nicht besonders rosig aus.

Die bayrische Maxime, dass eine gescheite Anarchie einen starken Anarchen brauche, klingt zwar lustig, entlarvt allerdings das scheinbar unausrottbare Verlangen – nicht nur der Bayern, sondern aller Deutschen – nach Autorität. Die sogenannte „Mitte-Studie“ im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht seit 2006 alle zwei Jahre mittels Umfragen das Bedürfnis der Deutschen nach einem „starken Führer“. Laut ihrer im vergangenen Herbst vorgelegten Untersuchung teilten acht Prozent der Menschen in Deutschland ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. In den Jahren davor seien es nur zwei bis drei Prozent gewesen.

Doch diese acht Prozent stellen, so die Forscher, nur den „harten Kern“ eines rechten, antidemokratischen Potentials dar. Zwanzig Prozent der Befragten seien einem rechtsextremen „Graubereich“ zuzuordnen, wozu nationalchauvinistische Einstellungen ebenso gehörten wie die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus, Fremdenfeindlichkeit und last but not least – Antisemitismus. Dem korrespondiert natürlich eine weitgehende Ablehnung der Demokratie. Inzwischen wollen laut sechs Prozent der Deutschen eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem „Führer für Deutschland“.

Noch ist es allerdings eine Minderheit, die die Demokratie ablehnt. Insgesamt, so auch das Ergebnis anderer Untersuchungen, etwa der aktuellen Leipziger Autoritarismus-Studie, bleibt die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland stabil, wenn auch auf relativ niedrigem Niveau: Nur die Hälfte der Menschen ist mit der Art und Weise, wie die repräsentative Demokratie und ihrer Institutionen hierzulande funktioniert, zufrieden. Gründe für die Unzufriedenheit und das mangelnde Vertrauen liefern die demokratischen Institutionen. Allen voran natürlich das Parlament und die von ihm gewählte Regierung. Dass zentrale Wahlversprechen wie zum Beispiel ein repräsentativeres Wahlrecht zu verabschieden, nicht eingehalten werden, ist ein Grund. 

Weit wichtiger aber ist, dass viele Menschen sich im Bundestag und die ihn tragenden Parteien nicht repräsentiert fühlen: Zu schwerfällig ist ihnen der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge die deutsche Demokratie, zu groß der Einfluss von Interessengruppen auf politische Entscheidungen. Die Umfragen ergeben, dass Dreiviertel der Befragten kein Vertrauen mehr in den Bundestag haben. Großes Vertrauen dagegen – nämlich bei nahezu 80 Prozent der Bevölkerung – genießt eine andere demokratische Institution, das Bundesverfassungsgericht. 

Insofern ist es symptomatisch für die prekäre Situation der Demokratie in Deutschland, dass ausgerechnet zwei ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts sich vor kurzem besorgt zeigten, die Unabhängigkeit des Gerichts könne durch einen politischen Rechtsrutsch unterminiert werden. – Die Demonstrationen am vergangenen Wochenende waren Ausdruck der gleichen Besorgnis, nämlich dass die Demokratie hierzulande allmählich und schleichend ausgehöhlt werden könnte. Doch zeigten sie auch, dass es soweit noch nicht ist. Dass es noch viele andere gibt, die auf sie Acht geben. Man kann nur hoffen, dass es mehr werden. Denn so schnell werden die, die nach einem „starken Führer“ verlangen, nicht klein beigeben.

WDR3 Mosaik 16. Januar 2024