Manchmal klappt es.

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Szenen vom langen Abschied. Erzählungen

Emons Verlag 2013

Peter Meisenberg ist wieder eingetaucht in den Alltag von Menschen, die nicht gerade auf der Sonnenseite leben, auch wenn sie das manchmal glauben. Fünfundzwanzig Jahre nach »Freitags kommt der Klüttenmann« erkundet er, wie sich das Leben im Halbschatten heute anfühlt. Hinter den manchmal schroffen Fassaden findet er Vergessenes und Verdrängtes, Wunschträume und verlorene Illusionen – immer aber auch ein empfindsames Herz. Elf literarische Reportagen aus dem Leben »der kleinen Leute« Kölns.

Textbeispiel

Bubas Visionen

Für einen guten Espresso rennt Buba auf seinen kleinen roten Gucci-Schühchen meilenweit durch die Stadt. Zumal an so sonnigen Nachmittagen wie diesem. Um acht ist er zu seinem Stammtisch im Pittermännchen auf der Aachener Straße verabredet, jetzt sind es erst sechs, zwei Stunden Zeit also, noch mal sein altes Revier abzulaufen. Deswegen ist er extra mit der U-Bahn bis zum Hauptbahnhof durchgefahren, will von dort einmal quer durch die Innenstadt. Natürlich nicht ausschließlich wegen des Espressos, vielleicht trifft er den einen oder anderen Bekannten.

Seitdem es das Campi im Alten Funkhaus nicht mehr gibt, ist hier in der Gegend das Café Perfetto in der Kolumbastraße Bubas erste Wahl. Natürlich würde er lieber ein paar Schritte weiter zu Bepi auf der Breite Straße gehen. Aber ins Bepi setzt Buba schon seit Jahren keinen Fuß mehr. Aus Anstandsgründen. Außerdem ist der Espresso im Café Perfetto besser als der bei Bepi und wahrscheinlich auch besser als der, den es bei Campi gab. Wobei sich Buba an die Qualität von Campis Espresso kaum mehr erinnern kann, denn schon etliche Zeit vor Gigi Campis Tod hat er dessen Laden gemieden. Ebenfalls aus Anstandsgründen.

Im Café Perfetto geht Espresso nach Espresso geht über die Theke. Eine Barista presst, und zwar mit zwei Doppelsiebträgern gleichzeitig, die andere stellt die Tassen auf die schon präparierten Unterteller, reicht sie den in einer Schlange wartenden Gästen über die Theke, kassiert. Beide Frauen arbeiten schnell und mit fließenden Bewegungen. Buba schätzt solche Professionalität über alles. Er liebt die schwere, prächtig verchromte Kaffeemaschine, kann sich gar nicht satt an ihr sehen. Die Italiener haben Ahnung von Design. Und von Tradition. Denn obwohl es sich um eine ultramoderne Maschine handelt, ahmt ihr Äußeres den verspielten Stil der 50er Jahre nach. Das gefällt Buba. Wie ihm alle schönen alten Dinge gefallen. Alte Autos, alte Kameras, alte Schallplatten.

Außerdem gefällt Buba am Café Perfetto, wie es eingerichtet ist, das kommt ihm beinahe wie auf den Leib geschneidert vor. Denn im Café Perfetto gibt es gegenüber der Theke ein Bord, an das man sich lehnen und worauf man seinen Kaffee abstellen kann. Dieses Bord ragt in die Mitte des Raumes hinein und wie der Bug eines Schiffes der Eingangstür entgegen. Wenn man an der Spitzes dieses Bugs steht, hat man die neu hinzukommenden Gäste des Lokals im Blick und wird umgekehrt nicht nur von ihnen, sondern auch von allen draußen vorübergehenden Passanten gesehen, denn die Straßenfront des Café Perfetto ist ein riesiges Schaufenster. Hier, an der Spitze des Bugs zu stehen, bedächtig in seinem Espresso rühren und die Welt dort draußen wie aus dem Inneren eines Aquariums zu betrachten und gleichzeitig von allen gesehen werden zu können, ist etwas, was Buba überaus schätzt. Falls er den Platz an der Spitze des Bugs erwischt. Was heute der Fall ist.

Nur ist es aber auch heute so, dass weder jemand der Hereinkommenden Buba auf die Schulter klopft, noch einer der Vorübergehenden einen Blick hineinwirft, ihn erkennt und herein kommt, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Das geschieht auch nicht, nachdem Buba den zweiten Espresso bestellt, den Zucker darin umgerührt und ihn dann zügig, aber nicht hastig, so wie es sein muss, ausgetrunken hat. Das Perfetto ist nun halt mal nicht das alte Campi oder das Bepi, wo ihn seinerzeit jedermann kannte. Bubas Seele streift ein Wehmutshauch. Er  zögert den Abschied noch ein paar Augenblicke hinaus, aber nichts geschieht. Kein Bekannter taucht auf. Buba strafft seinen Kamelhaarblazer und richtet mit einer unauffälligen Geste die Lage seines Zopfs. Er geht. Winkt zur Barista an der Kasse, und als sie seinen Gruß erwidert, erfüllt ihn dann doch ein Gefühl warmer Genugtuung. Vielleicht sollte er trotz der Pleite das Perfetto zu seinem Stammcafé machen.

Das sonnige Frühsommerwetter hat sich gehalten, damit hatte er nicht gerechnet, als er seine Wohnung verließ. Im Blazer wird ihm jetzt ein bisschen warm. Buba zieht ihn aus, faltet ihn in der Mitte, damit der Stoff nicht verknickt und wirft ihn sich dann mit einem eleganten Schwung über die Schulter. Er überquert die Nordsüdfahrt, geht die Breitestraße hinunter, ist allerdings noch unschlüssig, was das nächste Ziel auf seinem Weg zum wöchentlichen Stammtisch im Pittermännchen sein könnte. Im Geiste geht Buba die für ihn in Frage kommenden Läden in seiner Richtung durch. Das nächstliegende, das Schmittchen, scheidet aus, aus dem gleichen Grund wie das übernächste, das Bepi. Das La Päd, das in Frage gekommen wäre, gibt es nicht mehr. Ist jetzt so ein Ticketverkauf drin. Mit der Erinnerung an das schöne alte La Päd steigt in Buba das Bedürfnis nach dem ersten Kölsch des Tages auf und er entschließt sich, es ein Stück weiter die Breite Straße hinunter, im Bieresel zu sich zu nehmen.

Er passiert gerade das Schmittchen, da überfällt ihn plötzlich das beklemmende Gefühl, beobachtet zu werden. Schon vorhin, als er hinter der Minoritenkirche die Straße zum Café Perfetto überquerte, war ihm, als schaue ihm jemand heimlich hinterher. Ohne im Gehen inne zu halten, wendet Buba den Kopf zuerst leicht nach links und ein Weilchen später leicht nach rechts, um die Passanten hinter sich unauffällig ins Auge fassen zu können. Doch kann er niemanden erkennen, der ihm verdächtig vorkäme. Er beschließt, bis zu Neven-Du-Mont-Straße durchzugehen, sie zu überqueren, dann abrupt rechts Richtung Glockengasse abzubiegen und dabei noch einmal die Lage hinter sich zu checken. Und als er das tut, da fällt ihm tatsächlich jemand auf, der sich im gleichen Augenblick abrupt abwendet. Nur, dass es nicht, wie Buba erwartet hatte, ein Mann ist, der ihn beobachtet und der ihm folgt, sondern eine Frau.

Viola. Buba sieht, wie sie mit einer hastigen Bewegung die Richtung wechselt und statt weiter die Ehrenstraße geradeaus hinunter zu gehen, so tut, als interessiere sie etwas in dem Douglas-Parfümerieladen, in dem sie jetzt verschwindet. Auch Buba geht weiter, als habe er nichts bemerkt, biegt hinter dem kleinen Teeladen auf der Ecke zur Glockengasse rechts ab und steht ein paar Augenblicke später an der Theke der Kleinen Glocke.

Viola. Wie lange ist das her? Zwei Jahre? Buba versucht, sich an das letzte Telefonat erinnern. Sie hatte geweint. Ob er es denn wirklich ernst damit meine, dass sie sich nicht mehr träfen? Buba, der sonst Konflikten ausweicht wo er nur kann, vor allem Kalamitäten dieser Art, beschloss, hart zu bleiben, denn Viola war ihm zu dem Zeitpunkt schon so auf den Wecker gegangen, dass er es tatsächlich ernst meinte. Absolut, hatte er geantwortet. Habe er sich denn bisher nicht deutlich genug ausgedrückt? Und dann, in einer plötzlich hochwallenden Mischung aus Zorn und Kränkungswillen, hatte er noch hinzugefügt, dass er, seit er sie nicht mehr sehe, endlich ein glücklicher Mann sei. Daraufhin hatte sie aufgelegt, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Das Fass auf der Theke der Kleinen Glocke ist frisch angeschlagen, das Kölsch so kühl als käme es aus einer Gebirgsquelle, also genau so, wie es sich für das erste Kölsch des Tages gehört. Buba leert es mit zwei großen Schlucken und spürt dem Bier genüsslich nach, wie es seine Speiseröhre hinunterläuft. Viola. Was er ihr als Letztes am Telefon gesagt hatte, war nicht nett, denn damit hat er ihre komplette Beziehung entwertet. Und das war nicht fair. Denn die anderthalb Jahre mit ihr waren nicht durchweg eine Katastrophe und Viola nicht immer so nervig gewesen wie am Schluss. Denn sie hatte ihm eine Welt geöffnet, die er bisher noch nicht kannte. Die Kunst. Viola war eine Künstlerin. Das heißt eigentlich gab sie Zeichenstunden an der Volkshochschule. Doch fühlte sie sich als Künstlerin. Das Problem damit allerdings war, dass die Leute, auf die es in der Kunst ankommt, die Galeristen, das nicht ganz so sahen wie Viola. Um an irgendeine kleine Sammelausstellung zu kommen, musste sie wochenlang hektische Telefonate führen und meterlange E-Mails schreiben. Buba graust es bei der Erinnerung an Violas hysterische Stimmungen, die solche Anstrengungen bei ihr begleiteten. Jedesmal hatte er fassungslos zusehen können, wie die Aura der „interessanten Frau“, mit der sie sich gerne umgab, dann von ihr abfiel und sie sich in eine völlig belanglose Person verwandelte, die nur kalt ihre kleinen Zwecke verfolgt.

Noch eins? fragt die Kellnerin, tauscht gleichzeitig sein leeres gegen ein frisch gefülltes Kölschglas. Buba winkt stumm mit der Hand, dass er nichts dagegen hat. Hängt mit den Gedanken noch bei Viola und der Frage, warum sie ihm plötzlich nachstellt, nach der langen Zeit. Doch die Kellnerin, eine teigige Frau in seinem Alter, hat offenbar kein Gespür für Bubas Bedürfnis, seinen Gedanken nachzuhängen. Irgendwie kutt ihr mir bekannt für, sagt sie auf Kölsch. Möglich, mich kennen viele, antwortet Buba auf Hochdeutsch, um Distanz zu schaffen, aber vergeblich. Jetzt weiß ich et wieder, hakt die Kellnerin nach: Seit Ihr nit ene Fründ vom Ömmel?

Warum tut sie das? Warum zupft sie ausgerechnet an seiner am meisten schmerzenden Saite? Ömmel. Nein, ich glaube, da vertun Sie sich, hält er sie sich weiter mit Hochdeutsch und einer sich versteinernden Miene vom Leibe. Diesmal kapiert sie, tritt zurück und wendet sich, ihn dabei noch mit einem misstrauischen Blick streifend, den anderen Thekengäste im Hintergrund zu. Es gibt Tage, da greift aus der Schwärze der Zeit deine Vergangenheit nach dir und du kannst nichts dagegen tun.

Ömmel. Gigi und Bepi waren Wirte. Gigi vielleicht ein bisschen mehr als bloß ein Wirt, so etwas wie sein Mentor, vor allem, was den Jazz anging. Ömmel aber war ein Freund gewesen. Und das Bittere an der Geschichte mit ihm war, dass er sich am Schluss nicht wie ein Freund benommen hat, nämlich als er Buba beim Jazzfestival in Antibes so schmählich im Stich ließ. Und das nur, weil Buba im Hotel darauf bestanden hatte, dass er das gleiche Zimmer bekam wie in den Jahren zuvor. Zugegeben, Bubas Gezeter und Geschrei an der Hotelrezeption war für den dabeistehenden Ömmel vielleicht ein bisschen blamabel gewesen. Aber deswegen gleich die Koffer packen und wieder abreisen? Ihn alleine in diesem glühendheißen Südfrankreich zurücklassen? Und anschließend, als sie sich in Köln zufällig wieder über den Weg liefen, auch noch nachlegen mit der gehässigen Bemerkung, dass Buba ihm schon seit langem damit auf den Zeiger ginge, in jeder Kneipe und in jedem Café, in denen er mehr als drei oder vier Mal eingekehrt war, den besten Thekenplatz als seinen Stammplatz zu beanspruchen und sich deswegen mit sämtlichen Wirten in die Wolle zu kriegen. Spricht man so zu einem Freund? Nimmt man auf einen Freund nicht ein wenig Rücksicht und hat Verständnis für seine kleinen Eigenarten?

Das Kölsch schmeckt mit einem Mal schal, Buba trinkt das Glas nicht aus, legt zwei Zwei-Eurostücke auf die Theke, die Kellnerin blickt von ihrem Gespräch mit den anderen Gästen auf, Buba nickt ihr zu und weiß plötzlich, warum sie sich an ihn und Ömmel erinnert. Ömmel und er waren vor langer Zeit einmal ziemlich oft zusammen hier und Bubas Stammplatz genau dort, wo er auch eben gestanden hat.

Er ist nicht mehr sauer auf Ömmel, auch nicht verbittert wegen der gestrandeten Freundschaft. Was ihn wehmütig stimmt und schmerzt, wenn er an Ömmel oder Gigi erinnert wird, ist, dass das alles vorbei ist, Geschichte. Jedes Mal, wenn er an die beiden oder die anderen denkt, die er hinter sich gelassen hat, dann ist ihm, als hauche ihn wie aus einem schwarzen Loch die große Vergänglichkeit an.

Nachdem er die Kleine Glocke verlassen hat, biegt Buba von der Glockengasse nach rechts in den Durchgang ein, der zurück auf die Breite Straße führt. Beim Briefmarkenladen schaut er kurz um die Ecke, um sicher zu gehen, dass er Viola durch seinen Hakenschlag in die Kleine Glocke auch tatsächlich abgehängt hat. Weit und breit ist nichts von ihr zu sehen und so macht er sich auf den Weg zu seiner nächsten Station, zum Bieresel. Bis zum Stammtisch im Pittermännchen ist es noch eine Stunde.

Er kommt nicht weit, denn auf dem kleinen Platz vor Karstadt spielen seine Lieblings-Straßenmusiker. Sie haben sich neben dem Zeitungs-Brunnen aufgebaut, ein Quintett mit einem Kontrabassisten, zwei Gitarristen, einem Tenorsaxofonisten und einem Trompeter. Kleine dunkle Männer, sie kommen aus Rumänien, Buba kennt sie, er redet manchmal mit ihnen. Sie spielen einen abgeklärten Kansas-City-Swing, der Buba ganz entfernt an Gigis längst abgetretene Clarke-Boland Big Band erinnert, von deren Sound er nie genug bekommen konnte. Natürlich ist der Saxofonist nicht Johnny Griffin und der Trompeter nicht Benny Bailey, aber sie machen eine Musik, die Buba als „echt“ bezeichnet und die nichts zu tun hat mit dem, was die Jazzer heute so spielen. Das versteht Buba nicht mehr, das ist für ihn kein Jazz mehr, Musik ohne Eier, eigentlich gehört sie verboten, eigentlich müsste eine GEJAZPO, eine Geheime Jazz-Polizei dafür sorgen, dass die Jungs, die jetzt auf den Bühnen rumquietschen, zurück in die Keller gehen und da wieder lernen, was Offbeat ist und wie man swingt. I don’t mean a thing if it ain’t got that swing. Den Jazz gibt es nicht mehr.

Buba stellt sich in die erste Reihe der wenigen Zuhörer, lauscht fast ergriffen dem Blues in the Dark und dem I left my Baby der fünf und wirft bei Solitude einen Fünf-Euro-Schein in den aufgeklappten Gitarrenkoffer. Und da, während er sich vorbeugt, sieht er sie wieder. Viola. Sie kommt aus der Passage des Du-Mont-Karrees, schaut in seine Richtung und Buba scheint es, als begegneten sich ihre Blicke. Doch sie geht weiter, sehr aufrecht, mit ihren typischen kurzen, fast hastigen Schritten. Es sah immer so aus, fällt Buba ein, als laufe sie einer verpassten Verabredung hinterher. Vögel trippeln so durch die Gegend. Er schaut ihr nach. Ihr Profil ist tatsächlich einem Vogel ähnlich geworden. Sie gleicht einem verirrten Huhn, als sie im Eingang von Karstadt verschwindet.

Buba wird unbehaglich zumute. Sie hat seine Spur wieder aufgenommen und tut jetzt so, nachdem er sie gesehen hat, als sei das zufällig geschehen und rennt ins Karstadt, als habe sie da zu tun. Was führt sie im Schilde? Wenn sie noch etwas von ihm will, warum ruft sie ihn nicht einfach an? Einen Augenblick überlegt Buba, ihr in das Kaufhaus zu folgen und zu fragen, was los sei. Aber schnell gibt er den Gedanken wieder auf, weiß, dass ihm so was nicht liegt, Leute zur Rede zu stellen. Also beschließt er, weiter zu gehen, reißt sich von der beschwingt weiter spielende Combo los und zwängt sich auf dem schmalen Bürgersteig durch den zum Büro-Feierabend anschwellenden Strom der der Innenstadt zustrebenden Passanten.

Trotzdem lässt ihn Viola natürlich nicht los. Bei dem Gedanken, dass sie vielleicht wieder was von ihm will, überzieht Buba trotz der frühsommerlichen und jetzt schon vom Trottoir zurückstrahlenden Wärme eine Gänsehaut. Sowas könnte er heute gar nicht mehr. Eine Frau in seiner Nähe ertragen. Und dann noch eine so komplizierte und kapriziöse wie Viola. Es war ja nicht nur ihre ständige Hetzerei wegen der Ausstellungen. Es war auch ihr Geiz, den sie Sparsamkeit nannte, der ihn nervte. Und der ihrem Geiz entsprechende Geschmack, die dünnen Blusen und Röcke, die sie sich für ein paar Euro auf dem Wochenmarkt kaufte. Buba, der immer großen Wert auf eine Picobello-Garderobe gelegt hat, kann gar nicht begreifen, wie er es mit einer solchen Frau hat aushalten können. Und schon gar nicht mehr ertragen könnte er ihre Bigotterie, ihre ständigen Kirchgänge. Vor allem, wenn sie in die Kirche rannte, nachdem sie sich beim Vögeln hatte „gehen lassen“, wie sie sich ausdrückte. Und selbst das war Buba am Ende zu viel geworden, ihr wachsender Appetit nach diesem sich-gehen-lassen. Nein, um Himmels Willen! Nur weg, ganz schnell weg, weg, weg.

So sehr ist Buba mit dem Wegrennen vor seiner Vergangenheit beschäftigt, dass er erst kurz vor der Ecke, wo die Ehrenstraße den Friesenwall kreuzt, registriert, dass er an seinem Ziel, dem Bieresel, schon längst vorbei ist. Ist aber jetzt auch egal. Hauptsache, er hat Viola abgehängt. Kommt er heute eben etwas früher als die anderen ins Pittermännchen.

In dem Augenblick, in dem er diesen Entschluss gefasst hat, rennt von rechts der Professor in ihn hinein, scheint Buba glatt übersehen zu haben, entschuldigt sich, sie schütteln sich die Hände. Der Professor ist ein alter, schmieriger Besserwisser, den Buba schon seit Ewigkeiten kennt und den er ebensolange nicht ausstehen kann. Trotzdem bleibt er stehen und unterhält sich mit ihm. Er ist der erste Bekannte, dem er in der Stadt begegnet ist, seit er am Bahnhof aus der U-Bahn stieg.

Der Professor quasselt irgendwas von seinen geil laufenden Immobiliengeschäften, in die er seit einiger Zeit eingestiegen ist und wahrscheinlich, weil er Buba als möglichen Kunden einschätzt, schlägt er vor, mit ihm auf ein, zwei Kölsch drüben im Grünen Eck auf der Palmgasse einzukehren. Buba wehrt ab, hat keine Lust, sich von dem Alten vollsabbeln zu lassen. Ich lad dich selbstverständlich ein, insistiert der Professor. Geht trotzdem nicht, sagt Buba. Ich hab’ im Grünen Eck Lokalverbot. Hast du nicht, so’n Quatsch, widerspricht der Professor. Und ob ich da Lokalverbot hab’, frag’ den Schorsch, den Wirt. Den hab’ ich schon gefragt, sagt der Professor. Das heißt, der hat demletzt drüber gesprochen, über deine Einbildungen. Dass du meinst, du hättest überall Lokalverbot, nur, weil du beleidigt bist, dass dir die Wirt mal die Meinung gesagt hat wegen deiner Ansprüche. Hat Buba nicht immer schon gewusst, dass der Professor ein Arschloch ist? Ansprüche! sagt Buba trotzig. Das hat mit Ansprüchen nichts zu tun, das hat was mit Anstand zu tun. Wie man mit seinen Gästen umgeht. Die behandelt man nicht wie kleine Kinder, denen bringt man so was wie Achtung entgegen. Respekt, verstehst du?

Jetzt reg’ dich mal ab, sagt der Professor und fasst Buba am Arm. Braucht ja nicht zu sein, das Grüne Eck. Gehen wir eben nach drüben auf die andere Ringseite ins Buon Giorno. Da bin ich gleich sowieso verabredet. Und da sitzen immer die Jungs auf der Terrasse, die du auch alle kennst. Der Addi, der Conny, der Butch. Na schön, sagt Buba, damit der Professor ihn endlich loslässt. Auf die Halbweltler vorm Buon Giorno, die er natürlich alle kennt, hat er allerdings keine Lust. Denen sagt er kurz Hallo und dann geht er weiter, gleich ins Pittermännchen.

Sie überqueren den Ring, der Professor labert wieder von seinen Immobiliengeschäften, Buba will den Quatsch gar nicht hören und dreht den Kopf vom neben ihm gehenden Professor weg. Und bleibt stehen, erstarrt. Was ist? fragt der Professor. Geh schon mal vor, ich komme nach, sagt Buba, lässt den Professor ziehen und starrt hinüber zum Geldautomaten der Kölner Bank. Denn vor diesem Geldautomaten steht Viola und zieht Geld. Jedenfalls tut sie so. Buba zögert einen Augenblick, dann ist er entschlossen, er löst sich aus seiner Erstarrung. Jetzt will er wissen, was sie von ihm will. Er geht hinüber, baut sich hinter ihr auf und wartet, bis sie fertig ist. Sie hat tatsächlich Geld abgehoben, verstaut es jetzt sorgfältig in einer kleinen weißen und schon ein bisschen abgewetzten Handtasche. Dann dreht sie sich um und sieht Buba.

Sie blinzelt ihn überrascht, ja fast erschrocken an. Buba, sagt sie, es klingt eher wie eine Frage als wie eine Feststellung. So, als ob sie Mühe hätte, ihn wiederzuerkennen. Was machst du denn hier? Das wollte ich dich auch gerade fragen, sagt Buba. Wieso läufst du die ganze Zeit hinter mir her? Ihre Augen weiten sich erstaunt. Waaas? Ich? Hinter dir…? Ja, die ganze Breite Straße, die Ehrenstraße und jetzt hier. Sie ist fassungslos. Ich war einkaufen, Buba, sagt sie und hebt die Tüten von Douglas und Karstadt in ihrer Hand. Weiter nichts. Ich hab’ dich überhaupt nicht gesehen. Buba starrt sie an. Das sagst du! Er glaubt ihr kein Wort. Obwohl er zugeben muss, dass sie die Erstaunte sehr gut spielt. Sie schaut ihn prüfend an, schüttelt sacht den Kopf, senkt die Augen, in ihre Miene gerät eine Spur von Mitleid. Ach Buba, sagt sie leise, tut mir echt leid, wie das damals gelaufen ist. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Nimm’s mir nicht länger übel, Buba. Kommen bestimmt auch mal wieder bessere Zeiten.