Vorweihnachtslethargie

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In den goldenen Wirtschaftswunderzeiten gab es die allseits beliebte Einrichtung des Blauen Montags. Montags ging man, wenn überhaupt, sehr ungern zur Arbeit. Meist in Gestalt eines Katers geisterte einem das Wochenendvergnügen noch so sehr durch den Kopf, dass man sich unmöglich auf die Arbeit konzentrieren konnte. Die Folgen bekamen am deutlichsten die Autokäufer zu spüren, wenn sie ein sogenanntes Montagsauto erwarben. Solche Disziplinlosigkeiten gibt es heute natürlich nicht mehr. Zum einen sind die Formen der Arbeitsverweigerung wesentlich subtiler geworden. Vor allem aber haben sie sich zeitlich ausgedehnt. Statt nur noch Montags machen die deutschen Arbeitnehmer jetzt vom heutigen Datum an, dem 13. Dezember, bis zum 23. Dezember blau. Zehn Tage lang also. Danach geht es in den Weihnachtsurlaub.

Das Wort „blau“ kommt in der jetzt vorliegenden, Studie, die auf dem Online-Verhalten von 3.000 deutschen Arbeitnehmern beruht, nicht mehr vor. Stattdessen ist dort von einer „Weihnachtslethargie“ die Rede: Vom ersten Dezember an, wenn von den Weihnachtsmärkten die süßen Glühweindüfte in die Büros wehen, schalten sie allmählich in den „Feiertags“- bzw. „Weihnachtsmodus“ um. Ab dem 13. Dezember greift der dann mit voller Wucht. Statt zu arbeiten unterhält man sich dann lieber mit den Kollegen über die bevorstehenden Weihnachtstage und genehmigt sich dabei schon einmal den einen oder anderen Punsch. Oder man sucht und bestellt vom Arbeitsplatz aus über Internet Weihnachtsgeschenke.

Das eigentlich „Erschreckende“ an dieser Studie ist, dass es vor allem die Jungen sind, die Arbeitnehmer zwischen 18 und 24 Jahren, die spätestens ab dem 18. Dezember dann ganz die Lust am Arbeiten verlieren. Mit einer solchen Mentalität wird Deutschland sich in Zukunft kaum auf den internationalen Märkten behaupten können. Deshalb schlägt der Leiter der Untersuchung den Arbeitgebern auch einige Maßnahmen vor, mit denen sie die Motivation ihrer Arbeitnehmer auch während der Weihnachtszeit hoch halten können. Vermehrte Team-Meetings beispielsweise, um (Zitat) „gemeinsam neue Wege zu finden, zumindest im nächsten Jahr effektiver zusammenzuarbeiten.“

Um Himmels Willen! Wird da jeder einigermaßen erfahrene Betriebspsychologe aufschreien. Nicht noch mehr Meetings. Nicht noch mehr Effizienz. Noch mehr Multitasking. Noch mehr Mails und SMS nach Feierabend. Das alles ist doch gerade der Grund dafür, dass es die deutschen Arbeitgeber im vergangenen Jahr auf den Rekord von 100 Millionen Fehltagen gebracht haben! Doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren, wie die „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ gerade mitteilt. Und der Grund für die vielen Krankschreibungen: Psychische Belastungen am Arbeitsplatz, hervorgerufen durch zu viel Arbeit, die in zu kurzer Zeit erledigt werden muss und durch unzureichende Möglichkeiten zur Erholung. – Wäre es da nicht sinnvoller, die „Weihnachtslethargie“ zu kultivieren, ja, zu institutionalisieren? Allmählich in einen ganzjährigen „Feiertagsmodus“ überzugehen, der, sagen wir mal, schon von Mittwochmittag an greift?

WDR 3 Resonanzen 13. Dezember 2018