Tourismus – Vernichten, was man begehrt

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In der „Reisebilanz“ der ZEIT für das des Jahr 1958 heißt es: „Mallorca und Korfu scheinen heute dem Deutschen das geworden zu sein, was früher dem Berliner der Wannsee war. Die Reisewut des Nachbarn Müller scheint Herrn Meier dazu zu zwingen, immer entferntere weiße Flecken auf der Weltkarte der Touristik auszuwählen. “ Im gleichen Jahr – 1958 – schrieb Hans Magnus Enzensberger über den damals beginnenden Massentourismus seine „Theorie des Tourismus“. Die läuft darauf hinaus, dass die Touristen die Ziele , die sie begehren, dadurch vernichten, dass sie sie erreichen. Die „unberührte“ Natur wird von ihnen plattgetrampelt, der „geschichtsträchtige Ort“ in einen Disneyland-Park verwandelt.

Wie prophetisch Enzensbergers Analyse von vor 50 Jahren war, zeigt sich an den Abwehrmaßnahmen, die Städte wie Barcelona, Amsterdam oder Venedig inzwischen treffen müssen, um sich vor der Touristenflut zu schützen: Bestimmte, stark frequentierte Bezirke und Straßen werden gesperrt, die Zahl der Übernachtungen begrenzt, der Bau weiterer Hotels in den Innenstädten verboten. Zwar rechnet die Tourismusbranche den Kommunen immer noch vor, wie viel sie an den auswärtigen Besuchern verdienen, wie viele Arbeitsplätze dadurch entstehen. Doch tendiert die Gesamtbilanz schon lange zum Negativen: Statt 175.000 wie in den 50er Jahren leben heute nur noch 55.000 Einheimische in Venedig. Und die leiden unter der höchsten Lungenkrebsrate Italiens. Verursacht durch die gigantischen Kreuzfahrtschiffe, von denen jedes die Luft verschmutzt wie 40.000 Autos.

Mit beigetragen zur Verwandlung der Innenstädte in Event-Zonen und Konsumghettos hat eine Übernachtungsmethode, die einst mit dem hehren Anspruch des „Teilens“ Furore machte. Das Vermieten der eigenen als Ferienwohnung über Portale wie Airbnb. Nach einer ähnlichen Dialektik wie der Verwandlung des unschuldigen Reisens in zerstörerischen Tourismus ist aus diesem altruistischen „Teilen“ ein überaus lukratives Geschäft geworden. Denn viele der über Airbnb angebotenen Wohnungen haben gar keine „richtigen“ Bewohner mehr, sondern dienen ausschließlich als Ferienwohnung. Die Rendite aus deren Vermietung ist drei mal so hoch wie auf dem normalen Wohnungsmarkt.

Von der Rollkoffer-Epedemie besonders befallene Kommunen wie Berlin, München und Köln versuchen bislang mit sogenannten „Wohnraumschutzsatzungen“ gegen diesen Missbrauch von Wohnraum vorzugehen. Denn zum einen werden dadurch dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt Wohnungen entzogen, die Wohnungsnot vergrößert. Zum anderen zerstört ein Übermaß von Ferienwohnungen die Infrastruktur von Innenstadtvierteln. Dort, wo nicht mehr Einheimische, sondern  nur noch Touristen leben, verschwinden die kleinen Geschäfte, die Arztpraxen und Nachbarschaftstreffs.

Doch scheinen die „Wohnraumschutzsatzungen“ der Kommunen nicht mehr auszureichen. In München hat man deshalb zu härteren Bandagen gegriffen und ist gerichtlich gegen Airbnb vorgegangen. Mit Erfolg. Jetzt kann die Plattform dazu gezwungen werden, sämtliche Daten ihrer Anbieter preiszugeben. – „Wir müssen ein ‚Ausverkauft’-Schild an unsere Städte hängen“, sagt ein früherer Tourismusmanager von Amsterdam. „Sonst sind unsere Städte bald kein Ort zum Leben mehr, sondern eine lebensfeindliche Transitzone für Touristen.“

WDR 3 Mosaik 27.Dezember.2018