Soll die „Judensau“ ins Museum?

Veröffentlicht in: Allgemein, Essays & Kommentare | 0

Martin Luther, der in der Wittenberger Stadtkirche predigte, gibt in seiner antijudaistischen Schmähschrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ aus dem Jahr 1543 eine ziemlich genaue Beschreibung der „Judensau“-Darstellung an der Kirche. Er schreibt: „Hinter der Sau steht ein Rabin, der hebt der Sau das rechte Bein empor und guckt mit großem Fleiß unter dem Pirtzel in den Thalmud hinein, als wollt er etwas Scharfes und Sonderliches lesen.“ Damit bezog Luther die „Judensau“ auf den Talmud und verhöhnte den jüdischen Glauben insgesamt als schmutzige Lächerlichkeit.

Denn die mittelalterlichen „Judensau“-Darstellungen schmähen auf obszöne Art und Weise die Juden, indem sie sie im intimem Verkehr mit den von ihnen als unrein betrachteten Schweinen zeigen. Dieser unversöhnliche und aggressive christliche Antijudaismus hat sich über die Jahrhunderte erhalten. Im 19. Jahrhundert lud er sich rassistisch und politisch auf und mündete in den antisemitischen Vernichtungswahn der Nazis. „Knallt ab den Walther Rathenau/Die gottverdammte Judensau!“ Und heute? Heute schreien Neonazis, wenn sie zum Beispiel ein koscheres Restaurant in Chemnitz mit Steinen bewerfen, wieder „Judensau! Verschwinde aus Deutschland!“

An und in immerhin noch 30 evangelischen und katholischen Kirchen befinden sich ähnliche beleidigenden „Judensau“-Plastiken wie an der Wittenberger Stadtkirche. Höchste Zeit, dass sie aus der Öffentlichkeit verschwinden. Denn liefern sie den heutigen Antisemiten nicht historisch fundierte Argumente und stiften sie überdies im Sinne der Volksverhetzungsparagrafen zu weiteren Beleidigungen und Verhöhnungen an? – Ein ziemlicher naiver Bilderstürmer-Glaube. Der offenbart sich nicht erst im heute beginnenden Prozess. Schon seit den 1990er Jahren sehen sich Kirchenobere und Dombaumeisterinnern mit ähnlichen Reinigungsphantasien konfrontiert: Als wenn man vergangenen Hass und die ihm folgenden Untaten ungeschehen machen könnte, indem man ihre Stein gewordenen Manifestationen einfach abschlägt. Oder ins Museum verfrachtet, wie im Wittenberger Fall gefordert.

Im künstlichen Kontext eines Museums ist historische Erinnerung jedoch neutralisiert, ihrer Wirkungsmacht endgültig beraubt. Deshalb plädiert Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden für „Aufklärung vor Beseitigung“: Im Originalkontext – zum Beispiel auch an Kirchen – könne man mehr über historische antisemitische Phänomene lernen als im Museum. Auch Ilse Junkermann, die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, hat sich schon in der Vergangenheit vehement gegen die Abnahme der Wittenberger „Judensau“-Plastik gewehrt. Die Kirche, so ihr Argument, müsse „diese Wunde unserer eigenen Geschichte offen halten“ und könne sie nicht selbst zurecht rücken.

Obwohl in ihm die Abnahme der Plastik angestrebt wird, hat in diesem Sinne auch der heutige Prozess seine Bedeutung.: Befördert er doch die mit der Debatte über solche Denkmäler verbundene Aufklärung. Und belebt die deutsche Erinnerungskultur, die ohne solchen Streit in sterilen Ritualen zu erstarren droht.

WDR 3 Resonanzen 4. April 2019