Urlaubspropaganda

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Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will „Urlaub daheim“ finanziell fördern: Für Leute, die wenig Geld haben, möchte er einen Urlaub in Deutschland ermöglichen. Denkbar seien etwa Urlaubsgutscheine oder steuerliche Vergünstigungen.

„Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen!“ Mit dem so überschriebenen Wahlplakat leistete der Grafiker Klaus Staeck seinen Beitrag zum Sieg der Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf von 1972. Ironisch spielte er damit auf die CDU-Propaganda an. Brachte gleichzeitig aber in einer feinen Nuance darin auch die wachsende Reiselust der deutschen Arbeitnehmer unter, die damals immer entferntere und glamourösere Sehnsuchtsziele anstrebten. Damit ist es in Corona-Zeiten vorbei. Beziehungsweise: War es vorbei. Denn etliche Sozialdemokraten – von Außenminister Heiko Maas bis zum NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann – machen uns derzeit gerade Hoffnung, dass wir nach dem 15. Juni wieder ins Ausland reisen dürfen.

Da aber haben sie Markus Söder nicht auf der Rechnung gehabt, der sich in der Krise nicht nur Bayern- sondern auch bundesweit den Titel des GRÖCOMAZ, der „Größten Corona-Managers-aller-Zeiten“ erwarb. Und den er nun publikumswirksam zu verteidigen bereit ist. Wie ein mit allen Wassern gewaschener Autoverkäufer kontert er die von den Sozialdemokraten angeheizten Auslandsreise-Sehnsüchte. Mit unwiderstehlichen Lockangeboten: Mit Urlaubsgutscheinen und steuerlicher Absetzbarkeit. Allerdings nur für Inlandsreisen! Für Urlaub daheim. Es gebe, weiß der Ministerpräsident, tatsächlich auch außerhalb Bayerns „wunderschöne Gegenden“. Sogar in Nordrheinwestfalen.

Ein Schelm der Böses dabei denkt, dass der Mann, der vor zwei Jahren noch den denunzierenden Slogan des „Asyl-Tourismus“ kreierte, auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur sich nun sozialdemokratisch gibt. Und jetzt mit sozialstaatlichen Versprechen auf einen „Urlaub für alle“ hausieren ginge. Er habe, betonte Söder nämlich, mit seinem Vorschlag vor allem die Menschen im Blick gehabt, die sich „so etwas sonst nicht leisten können.“ Geschenkt. Richtiger liegt da wohl Harald Schmidt, der Söders neuesten Coup mit einem „Ein Caipirinha auf die Konjunktur“ kommentierte: Eine populistisch geschickt verpackte Anschubhilfe für die durch die Corana-Krise darbende Gastronomie-Branche.

Geschenkt damit auch der Verdacht, Markus Söder biedere sich bei seinen autoritätsbegeisterten Anhängern mit Verweisen auf gewisse Volksbeglückungs-Vorgänger aus den 30er Jahren an. Immerhin lag die Begründung seines Urlaubsgutschein-Vorschlags, er wolle damit „Freude für die Menschen“ verbreiten, rhetorisch doch peinlich nahe an der „Kraft-durch-Freude“-Urlaubs-Propaganda eines gewissen GRÖFAZ. – Aber ach was! Im Augenblick erleben wir wohl tatsächlich die Verwandlung des Ur-Christsozialen Markus Söder in einen Sozialdemokraten. Zumindest in jemanden, der sozialdemokratische Ideen zeitgemäß in Szene zu setzen versteht.

Womit wir wieder bei den Villen im Tessin sind. Und bei der Frage, ob das Södersche Urlaubsschein-Versprechen für Geringverdiener nicht eigentlich doch einer unsozialen Benachteiligung der Mitglieder der Toskana-Fraktion und der deutschen Villenbesitzer im Tessin gleichkommt. 

WDR 3 Resonanzen 22. Mai 2020