Peter Maria Löw, Flusenflug

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Peter Maria Löw. Flusenflug. Die Bekenntnisse eines Firmenjägers. Osburg Verlag 2020. 418 Seiten.

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Ein Gespräch mit Uli Hufen

Uli Hufen: Gesine Cresspahl, Hauptfigur in Uwe Johnsohn Jahrhundert-Roman „Jahrestage“, arbeitet in einer New Yorker Bank. Was dort geschieht, und was man dort lernen kann, beschreibt Johnson an einer Stelle knapp so: Fortgeschrittene Vermehrung geliehenen Geldes. Weil ich mir Johnsons „Jahrestage“ gerade wieder einmal beim Spazierengehen vorlesen lasse, kam mir diese Stelle in den Sinn bei der Vorbreitung zu dieser Sendung. Mir scheint „Fortgeschrittene Tricks bei der Vermehrung geliehenen Geldes“ taugt auch gut als Kurzdefinition für den Kapitalismus als Ganzes. Sie könnte vielleicht auch taugen als Überschrift über das Leben des Managers und Multimillionärs Peter Maria Löw. Jedenfalls für den Beginn seiner Karriere. Löw hat gerade so etwas wie seine Memoiren vorgelegt und die tragen den stolzen Untertitel „Bekenntnisse eine Firmenjägers“. Peter Meisenberg hat die Beichte gelesen. Herr Meisenberg, fangen wir mit dem Titel an, „Flusenflug“, einigermaßen obskur. Was hat es damit auf sich?

PM: Flusenflug ist eine kleine Geschichte überschrieben, relativ zu Anfang des Buches. Er erwirbt ja Firmen – für einen Euro, symbolisch, und hat jetzt eine marode Textilfabrik erworben auf diese Art und Weise und geht durch die Fabrik und sieht, dass da etwas nicht funktioniert. Beispielsweise: Sie stellen Stoffe her, geben die dann in die Schweiz zum Färben, importieren die wieder aus der Schweiz zurück und machen dann Kleider daraus. Da sagt er dem Betriebsleiter: Hören Sie mal, das ist ja ein wahnsinniger Umweg, mit wahnsinnigen Kosten verbunden. Warum machen Sie das so kompliziert? Ha! Sagt der Betriebsleiter. Flusenflug, sag ich da nur. Wenn wir das Garn färben würden statt der Stoffe, ständen die beiden Webstühle nebeneinander, der eine würde rotes, der andere weißes Garn verweben – und da würde ein Flusenflug stattfinden, nämlich von einer Maschine zur anderen, so dass die Stoffe beim Weben falsche Farben bekommen. Und da sagt der Löw zu dem Mann: Gehen Sie nach Hause, Sie sind entlassen. Und dann  geht er in den nächsten Baumarkt, kauft Plastikfolien und hängt die zwischen die Maschinen und dann sagt er: So einfach ist das! Mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kann man so eine Firma doch wieder auf Vordermann bringen. Und seitdem gilt „Flusenflug“ bei ihm bzw. seinen wechselnden Kompagnons als Stichwort dafür, dass die Leute, die die Betriebe führen, eigentlich keine Ahnung haben von dem, was sie da machen.

UH: Das ist ja auch ein bisschen sein Selbstbild, er kommt da mit gesundem Menschenverstand und natürlich auch mit wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrundwissen in irgendeine Firma, sieht sofort was falsch läuft, regelt das und verkauft sie wieder. – Was ist das für ein Typ, dieser Löw? Ist das diese Heuschrecke, die uns oft vorgeführt wird? Also jemand, der Firma bloß ausweidet oder ist es doch ein bisschen was anderes?

PM: Ja, ist doch ein bisschen was anderes. Ne Heuschrecke, das sind ja Finanzinvestoren, die kaufen eine Firma, verkloppen das, was sie nicht brauchen können – also auch die Menschen entlassen sie – und weiden sie aus, nehmen nur das raus, was da noch wertvoll ist. Löw macht etwas anderes: Er kauft eine Firma und „restrukturiert“ sie, so sagt er, oder saniert sie. D.h. er bringt sie wieder auf Vordermann, – allerdings nicht mit dem primären Ziel, dass die dauerhaft funktioniert, sondern dass sie sich innerhalb relativ kurzer Zeit wieder gut verkaufen lässt. Und so macht der eine Million nach der anderen.

UH: Jetzt kann man sich das ja vornehmen: Firmen kaufen, Firmen sanieren, Millionen investieren, um noch mehr Millionen damit zu verdienen. Aber nicht jeder von uns kann das, nicht jeder von uns kommt überhaupt auf die Idee. – Wer ist also dieser Löw und woher kommt der überhaupt?

PM: Ein zielstrebiger junger Mensch. Das erste Kapitel berichtet, wie er sich mit seinem späteren Kompagnon Vorderwülbecke am Nockerberg kurz nach Karfreitag im Biergarten ein paar Bier genehmigt – und da machen sie einen Plan. Und den Plan, den hatte er schon als Abiturient: Erstens Promovieren. Zweitens Offizier werden. Drittens Millionen machen. Und diesen Plan setzen die beiden jetzt Stück für Stück um – ich stelle mir den Löw als jemanden vor, der sehr von sich eingenommen ist, also ein fast unheimlich zielstrebig operierender Mensch. 

UH: Und dann kommt die erste Firma. Das ist ja immer das große Problem, da gibt’s ja auch den alten Witz: Wenn man Millionäre fragt, man kann alles erfahren, nur nicht, wie die erste Million gemacht ist. Wie geht das bei ihm?

PM: Er kauft eine Firma, die sieben Millionen kostet; das ist eine Firma, die Büromaschinen verleiht bzw. damit handelt. Er hat von dem Geschäft noch gar nicht so viel Ahnung, das Hauptproblem ist für ihn, an die sieben Millionen zu kommen. Er hat selbst damals noch einen job bei McKinsey als Unternehmensberater und sagt dann zu seinem Kompagnon: Pass mal auf, ich verdiene so viel Geld, du suchst dir ne Firma aus, die wir erstehen können, und ich gebe dir die Hälfte von meinem Gehalt ab. Der Kompagnon macht sich auf, sie finden eine Firma, die kostet sieben Millionen, aber die haben natürlich keinen Pfennig Geld, er hat vielleicht 150.000 Euro gespart: Jetzt gehen beide von Bank zu Bank und leihen sich das Geld, mal 200.000 Euro da, mal 200.000 Euro da und starten mit einer Schuld von sieben Millionen Euro. Das Ziel ist jetzt, die sieben Millionen Euro so schnell wie möglich abzutragen, d.h. die Firma, die sie gekauft haben, sehr schnell auf Vordermann zu bringen. Und das schaffen sie und das ist das Erstaunliche an diesem Mann und deswegen liest man das Buch auch mit einiger Begeisterung: Wie der so was macht, mit welcher Willensanstrengung und welcher Schlauheit der das schafft, diese Firmen ganz schnell auf Vordermann zu bringen.

UH: Insgesamt ist offensichtlich, dass er Erfolg hat, über Jahrzehnte, was man so liest, dass er auf irgendwelchen Schlössern in Bayern residiert, sehr viele Millionen verdient hat und immer noch weiter verdient, aber natürlich gab es auch Niederlagen in seinem Leben und Fehlschläge bei seinen vielen Coups und Operationen. Wie geht er damit um?

PM: Erstens gibt er nicht gerne zu, dass er Niederlagen erleidet, d.h. dass Firmen, die er gekauft hat, auch wieder pleite gehen. Da gibt er von den 250 Firmen, die er angeblich saniert und mit Gewinn weiterverkauft hat, nur zwei Insolvenzen zu. Das stimmt nicht so ganz. Er verschweigt einiges. Und die wichtigste Pleite, die er hingelegt hat, ist, als er eine Presseagentur gekauft hat, die funktionierte anfangs ganz gut, ging dann aber zwei Jahre später, 2013, in die Insolvenz. Er hatte versucht, da noch etliche Millionen reinzuschieben, das funktionierte aber gar nicht mehr…, er wütet dann, er sieht bei sich überhaupt keine Schuld, sein Missmanagement sieht er überhaupt nicht ein, dass er da was verkehrt gemacht haben könnte. Es sind natürlich die anderen schuld. Es ist vor allem Springer schuld, der andere Presseagenturen bevorzugt haben soll u.s.w. er kann also mit Niederlagen nicht wirklich umgehen.

UH: Jetzt ist dieser Mann, Löw, ziemlich interessant, ziemlich willensstark haben Sie gesagt, auch unterhaltsam bei seinen Geschichten. Er führt ein abenteuerliches Leben, es geht vom einem Coup zum nächsten, Niederlagen sind da mit dabei, aber eigentlich geht es immer bergauf. Was sagt das uns jetzt über die Welt, in der wir leben, das Wirtschaftssystem in dem wir leben: Dass ein Typ wie dieser da so erfolgreich ist, – und offenbar auch gebraucht wird?

PM: Das weiß ich nicht, ob solche Leute auch gebraucht werden. Das kann ich mir nicht vorstellen. Er hat ja eigentlich als Ökonom ein sehr unernstes Interesse, er hat ja keinerlei Interesse an dem, was seine Firma jetzt herstellt. Er hat ja nur Interesse, dass er die Firma so schnell wie möglich wieder verkaufen kann. Er hat nur Interesse an Geld. Und ich glaube, so kann Wirtschaft überhaupt nicht funktionieren und deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass ein ordentliches Wirtschaftssystem solchen Typen braucht. Es gibt sie immer wieder, es gibt diese Schneiders, diese Angeber, die Pleitiers, die unglaubliche Schulden anhäufen und die alle so einen ähnlichen Charakter haben wie der, der Riesen-Autos fährt, der Riesen-Reisen macht. – Und das Schöne an dem Buch – das nebenbei noch, ist, dass der schamlos auch mit seinen Schwächen umgehen kann, also mit seiner Eitelkeit und seinem Größenwahn. Da kauft er eine 20-Meter-Yacht, fährt damit ein bisschen auf dem Mittelmeer rum und sieht, dass die anderen alle größere Boote haben und sagt: Scheiße, ich brauche keine Yacht. Also dass er seine Schwächen auch offen zugibt. 

UH: Was haben wir jetzt für ein Buch? Ein unterhaltsames schon, mit vielen interessanten Geschichten, geschrieben von einem Mann, von dem man nicht genau weiß, ob man den faszinierend oder doch angeekelt abwenden soll. 

PM: Zuerst mal erzählt er es ja als Abenteuerroman. Er hat 56 Abenteuer, die zählt er durch, von eins bis sechsundfünfzig, wie er eine Firma nach der anderen gekauft hat. Jedes Mal ein großes Abenteuer. Zwischendurch dann große Reisen. Sabbaticals nennt er das. Das liest sich zuerst mal ganz schön, ist spannend, man fällt auch darauf rein auf diese Abenteuergeschichte. Bis man so langsam dahinter kommt, dass er eigentlich ein ziemlich ekelhafter Bender und Angeber und doch erheblich größenwahnsinnig ist und dann legt man das Buch zur Seite und sagt: Brauchen wir solche Leute? Also eigentlich nicht. 

WDR 3 Gutenbergs Welt, 7. November 2020