Homeschooling

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In NRW beenden spätestens ab Mittwoch die Schulen ihren Präsenzunterricht, die Kitas schließen zwar nicht ganz, müssen ihr Präsenzangebot aber um 10 Stunden in der Woche zurückfahren. Die Erfahrung der Schulschließungen aus dem ersten Lockdown waren nicht ermutigend: Viele Familien, vor allem die ärmeren, waren mit dem „Homeschooling“ massiv überfordert. Im Sommer hatten die Schulbehörden Zeit, bessere Konzepte zu erarbeiten. Werden die jetzt umgesetzt? Und sind darin die Nöte vor allem der ärmeren Familien berücksichtigt?

Von Mark Twain stammt das Diktum, wonach Gott zum Üben zuerst die Dummköpfe und danach die Schulbehörde erschuf. Das gilt doch hoffentlich nicht auch für die nordrheinwestfälischen Schulbehörden? – Gleich nach dem Beschluss, die Schulen zu schließen, wandte sich die Abteilung Schulpsychologie des Landes-Schulministeriums in einer Internet-Botschaft an alle Lehrer und Schüler, besonders aber an die Eltern. Man sei sich bewusst, heißt es da, dass es bei ihnen durch das „Homeschooling“ zu Problemen mit der „Überbelastung durch Mehrfachaufgaben in Beruf und Familie“ kommen könne. Und dass es „deutliche Unterschiede in der Möglichkeit von Eltern gebe, Schüler beim häuslichen Lernen zu unterstützen.“

Das sind äußerst freundliche Umschreibungen der Tatsache, dass geschlossene Schulen die sozialen Ungleichheiten massiv und nachhaltig verstärken. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft GEW spricht von einer „Katastrophe für die Bildungschancen vieler Kinder“, wenn die Schulschließung länger dauere. Rund zwei Millionen, also etwa ein Viertel der Schüler in Deutschland, sind von Armut bedroht. In vielen ihrer Familien läuft jetzt, im Lockdown, rund um die Uhr der Fernseher. Platz zum ruhigen Lernen gibt es dort sowieso kaum. Und oft gibt es dort auch nicht die technischen Voraussetzungen – Computer und Drucker – fürs Homschooling. Also für Videokonferenzen und die Bearbeitung der Lernpakete, die die Lehrer den Schülern digital nach Hause schicken. Und selbst wenn die Lehrer ihnen die Papiere nach Hause bringen, was oft geschieht: In vielen prekären Familien fehlt bei den Eltern die Möglichkeit und oft auch die Bereitschaft, ihren Kindern beim Lernen zu helfen. 

Dessen sind sich die nordrheinwestfälischen Schulbehörden zwar irgendwie bewusst. Ob die von ihnen geplanten Maßnahmen den ausgesetzten Präsenzunterricht aber auch nur annährend kompensieren können, ist sehr fraglich. Zwar bieten alle Schulen für die Kinder der Klassen 1 bis 6, die zu Hause nicht betreut werden können oder bei denen eine „Kindeswohlgefährdung“ vorliegt, „Betreuungsangebote“ an. Doch das sind reine Notprogramme, in denen kein „regelhafter Unterricht“ stattfindet. Sie dauern höchstens drei bis vier Stunden am Tag und sie werden nicht von Lehrern, sondern von „sonstigem schulischen Personal“, in der Regeln von Sozialarbeitern beaufsichtigt.In einer Grundschule in Köln-Buchforst beispielsweise stehen drei Sozialarbeiter für 400 Schüler zur Verfügung. Die Lehrerinnen dieser Schule fühlen sich überfordert – und übergangen. Der Großteil ihrer Schüler stammt aus prekären Verhältnisse, viele sind Flüchtlinge ohne deutsche Sprachkenntnisse. Für sie ist der tägliche Schulbesuch und damit das Sprechen der Sprache absolut notwendig. Vor den Sommerferien, sagen die Lehrerinnen, hätte man deshalb gute Konzepte entwickelt, wie man etwa durch versetzte Schulstunden auch im nächsten Lockdown einen Präsenzunterricht gewährleisten könne. Diese Konzepte seien jetzt mit einem Mal über den Haufen geworfen worden. – „Ohne Vorlauf ad hoc“ bestätigt die Online-Broschüre des NRW-Schulministeriums, seien die Lehrkräfte vor die „Herausforderung“ des digitalisierten Unterrichts gestellt worden. – Ob Mark Twain nicht doch Recht hatte mit seiner Vermutung, Gott habe zum Üben zuerst die Dummköpfe und danach die Schulbehörde erschaffen?

WDR 3 Mosaik 11. Januar 2021