Stefan Heym, Flammender Frieden

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Stefan Heym, Flammender Frieden. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Bertelsmann 2021. 477 Seiten. 24 Euro

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Der in Englisch geschriebene, jetzt erstmals ins Deutsche übersetzte Roman Stefan Heyms spielt im 1942 gerade von den Amerikanern eroberten Algier. „Flammender Frieden“ ist ein breit angelegter Kriegsroman mit einem an seiner Mission zweifelnden Helden.

Der Schauplatz von Stefan Heyms Roman ist das Algier des Spätherbstes 1942. Die Situation und die Stimmung hier sind ganz ähnlich wie die im marokkanischen Casablanca des gleichnamigen, im selben Jahr gedrehten Hollywood-Films: Das Sagen haben deutsche Faschisten und ihnen hörige französische, von der Vichy-Regierung gestellte Verwaltungsbeamte. Der Unterschied zwischen der Film-Fiktion und der dem Roman zugrundeliegenden historischen Wirklichkeit ist, dass im November 1942 amerikanische Truppen Algier befreien. Unter diesen Befreiern ist der Hauptprotagonist des Romans, Bert Wolff, ein aus Deutschland stammender Emigrant. Im spanischen Bürgerkrieg hat er bis 1939 auf Seiten der Republikaner gekämpft, jetzt ist er US- Lieutenant und Spezialist für die Verhöre gefangen genommener deutscher Offiziere. Für ihn bedeutet diese neue Aufgabe eine Erlösung – und einen Triumph.

Erschöpft in der einsamen Dunkelheit des Konzentrationslagers Oranienburg und auf den ausgedörrten, rissigen, blutdurstigen Felder Spaniens – immer besiegt, immer gedemütigt, – wie er sich da gesehnt hatte nach einem Tag wie diesem!

Stefan Heym zeichnete Bert Wolff ein wenig nach seinem eigenen Bild. Denn während er an seinem Roman schrieb, bereitete man ihn für seinen Einsatz in einer Einheit für die „Psychologische Kriegführung“ in Europa vor. Ähnliche Aufgaben hat auch sein Roman-Protagonist. Einer der Offiziere, die Bert Wolff verhören soll, Major Ludwig von Liszt, ist ein übler Nazi. Er entkommt ihm. Auf der Suche nach ihm stößt Wolff auf dessen französische Geliebte, Marguerite. Er verliebt sich in sie. Eine ähnlich tragische Liebesgeschichte wie im Film „Casablanca“ bahnt sich an. Nur, dass es sich bei Marguerite um eine ausgekochte femme fatale handelt.

Seit Marguerite mit Liszt zusammen war, hatte sie keine Gelegenheit mehr gehabt, jemanden zu bezirzen, und das vermisste sie sehr. Sie kam sich wie ein Biber vor, der seine Zähne auch dann gebrauchen muss, wenn er gerade nicht mit seinem Bau beschäftigt ist. Mein kleiner Lieutenant, dachte sie, mein armer kleiner Lieutenant. 

Liszt und Marguerite entwischen Wolff. Sie schlagen sich zu deutschen Truppen durch. Liszt plant mit ihnen einen vernichtenden militärischen Schlag gegen die Amerikaner und spannt dazu den korrupten französischen Militärgouverneur von Algier ein. – Ein breit angelegtes, aus zahlreichen Perspektiven erzähltes Romangeschehen entfaltet sich. Wie in seinen späteren Romanen erweist sich Stefan Heym schon hier, in seinem zweiten Werk, als ein Meister der Konstruktion. Mit unzähligen klugen Cliffhangern baut er immer wieder Spannung auf und behält souverän die vielen Fäden seiner Erzählung in der Hand. Überdies stellt er durch die Anlehnung an den Casablanca-Filmstoff seinen Sinn für populäre Themen unter Beweis. Dessen bittersüßes Ende aber versagt er sich. Am Schluss durchschaut Wolff Marguerite, es gelingt ihm, Liszt gefangen zu nehmen und zu verhören.

Nach dem Krieg wird es ein Abkommen geben, das auf Gerechtigkeit beruht, auf Humanität, Freiheit, Menschenrechten. Es werden die Sieger dieses Krieges sein, die das neue Abkommen verfassen. Hegen Sie, Major Liszt, auch nur den leisesten Zweifel daran, wer diese Sieger sein werden?

Diese Sätze sind durchaus als Selbstermutigung des Autors Stefan Heym zu verstehen. Als er sie im Jahr 1943 schrieb, stand er kurz vor seinem ersten Einsatz im Krieg. Die Sieger standen damals allerdings noch nicht fest.

WDR 5 Bücher, 6. November 2021