Legionäre für die Demokratie?

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Anfang März appellierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi an Freiwillige aus aller Welt, die Ukraine mit Waffen gegen die russische Attacke zu unterstützen. Russland seinerseits wirbt Kämpfer:innen aus Syrien an, die keine andere Chance zum Überleben sehen, als die, für 7.000 Euro im Monat ihren Kopf und ihre Seele hinzuhalten. Bei dem einen spielt das Geld eine Rolle, bei dem anderen die Moral. Selenskyi jedenfalls brachte bei seiner Werbung die „Internationalen Brigaden“ in Erinnerung, die im spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 auf Seiten der Republikaner gegen die faschistischen Putschisten kämpften. – Anlass dazu, über diese historische Parallele und darüber nachzudenken, ob es überhaupt eine Parallele ist, – und nicht nur ein Anachronismus.

Ende des Jahres 1936 teilte sich George Orwell als Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg in Barcelona ein Büro mit Ernest Hemingway und André Malraux. Orwell, der spätere Verfasser des dystopischen Romans „1984“, nahm anschließend als einziger der drei unmittelbar als begeisterter Kämpfer am Krieg teil. Und zwar in der „Internationalen Brigade“, einer von der Kommunistischen Internationale gegründeten Freiwilligentruppe aus mehr als 50 Ländern.

Die „Internationale Brigade“ ist der große Heldenmythos der Linken. Mehr als 40.000 Frauen und Männer aus vielen Ländern eilten der Spanischen Republik zur Hilfe. Sie kämpften mit der regulären republikanischen Armee gegen die faschistischen Militärputschisten unter General Franco und seine von Hitler und Mussolini bereitgestellten Hilfstruppen. Durch die Freiwilligenarmee wurde der spanische Bürgerkrieg zu der ersten großen internationalen Entscheidungsschlacht gegen das damalige „Böse“, den Faschismus.

An diesen Mythos versuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi anzuknüpfen, als er Anfang März ebenfalls eine „Internationale Brigade“ ins Leben rief und ausländische Staatsbürger dazu aufrief, freiwillig in der Ukraine gegen den russischen Aggressor zu kämpfen. Diesem Aufruf sind bislang etliche Tausend Männer gefolgt. Die Ukraine spricht von 20.000. Die realistischere Schätzung amerikanischer Geheimdienste geht von maximal 6.000 aus. Gleich, wie viele es nun tatsächlich sind: Der Krieg gegen das Böse und für das Gute scheint kaum an Anziehungskraft verloren zu haben.

Jedenfalls geben die Freiwilligen, die jetzt in den Krieg in die Ukraine ziehen, an, aus Idealismus zu handeln und dort „für die Werte der Demokratie“ kämpfen zu wollen. Hört man ihnen genauer zu, scheinen Flucht aus dem Alltag, Abenteuerlust und der Wunsch, endlich mal ein Held zu sein, ein mindestens ebenso starkes Motiv abzugeben. Warum zieht ein französischer Personalmanager und Vater von drei Kindern, denen er abends gerne Rittergeschichten erzählt, in den Krieg? Weil er zu den ukrainischen Rittern wolle, die seine Hilfe bräuchten, sagt er den Kindern.

Vielleicht ist er nur verrückt, eher aber ein Repräsentant dessen, was der Politologe Herfried Münkler unter den heutigen „postheroischen Gesellschaften“ versteht: Sie haben die Erfahrung des letzten Krieges so verinnerlicht, dass sie so etwas nicht noch einmal durchmachen wollen. Kriegerisches Heldentum findet in der postheroischen Gesellschaft nur noch im Marvel-Comic-Format statt, – oder in der Fantasie von Spinnern. – Braucht die die Ukraine in ihrem Überlebenskampf solche Leute wirklich? Mal ganz zu schweigen von den Rechtsradikalen, die in das von der Regierung bezahlte faschistische Asow-Regiment im Donbass strömen.

George Orwell jedenfalls war kein Spinner. Er erkannte im Faschismus frühzeitig die Gefahr, die wenig später die Welt in einen umfassenden Vernichtungskrieg führte. Orwell hat aber auch erlebt und beschrieben, wie die stalinistischen Kommunisten mit ihrem Terror die Internationalen Brigaden von innen heraus zerstörten und damit zum Sieg der Faschisten beigetrugen. – Ist es nur eine Pointe der Geschichte, dass jetzt der Nachfahre Stalins seine Panzer gegen Kiew rollen lässt?

WDR 3 Mosaik 22. März 2022