Chargesheimer fotografiert Jazz. Köln 1950 – 1970

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Ein Schatz ist ab heute im Rheinischen Bildarchiv zu besichtigen: Dessen Archivarin, Evelyn Bertram-Neunzig, hat ihn geborgen: 850 bisher unbekannte Negative des Kölner Fotografen Chargesheimer aus der Kölner Jazzszene von 1950-1970. Gleichzeitig dokumentiert ein prachtvoller Bildband des Emons-Verlags die Ausstellung.

https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/freizeit-natur-sport/veranstaltungskalender/chargesheimer-fotografiert-jazz-ausstellung-des-rheinischen-bildarchivs

https://emons-verlag.de/p/chargesheimer-fotografiert-jazz-6269

Hier haben wir drei Aufnahmen, die der Chargesheimer von der Billie Holliday gemacht hat. Die ist 1954 mit dem „Jazzclub USA“ durch Europa getourt und hat auch in Köln Station gemacht. Wir haben hier einmal ein sehr schönes Bild, wo sie auf der Bühne steht, da sieht man, dass sie wirklich eine schöne, attraktive Frau ist. Aber er hat zur selben Zeit aus diesem Foto, was er wiederum gespiegelt hat, beschnitten hat, sehr eng, dieses Foto gemacht und damit der Frau wirklich in die Seele geschaut, wie der Zustand der Billi Holliday um diese Zeit wirklich war. Sie war ja von Alkohol und Drogen völlig zerstört schon. Er hat in die Personen auch reinschauen können und das hervorgeholt, was wir im ersten Moment gar nicht so erkennen.

Evelyn Bertram-Neunzig, Archivarin des Rheinischen Bildarchivs, hat die Ausstellung der Jazz-Fotografien, die Chargesheimer in den 1950er und 1960er Jahren in Köln machte, nicht nur kuratiert. Sie hat diese Fotos überhaupt erst gefunden! Was einer kleinen Sensation gleichkommt. Zwar hat das Archiv schon seit 2003 sämtliche Negativfilme Chargesheimers in seinem Besitz. Doch wegen Personalnot konnte es einen Bestand von 10.000 Negativen bisher nicht sichten. Bis dann die Idee für diese Ausstellung entstand – und Frau Bertram-Neunzig in den Archiv-Keller stieg.

Und hab dann diese 10.000 Mittelformat-Negative, die wir noch nicht genauer kannten, durchgeschaut. Und da entdeckte ich plötzlich Stück für Stück Aufnahmen, wo ich im Negativ erkannte, dass das irgendetwas mit Musik zu tun hatte, also Musiker drauf waren. Und erst als ich sie dann ins Positiv konvertiert habe, kriegte ich mit: Ja, das sind Jazzmusiker.

Und so sind ab jetzt in der Ausstellung hunderte von bisher unbekannten Fotografien Chargesheimers aus der Kölner Jazzszene der 1950er und 1960er zu entdecken. Wobei „Jazzszene“ zweierlei bedeutet: Zum einen die Konzerte internationaler Jazzgrößen wie Chet Baker, Billie Holliday, Louis Armstrong oder Ella Fitzgerald, die Chargesheimer alle dokumentiert hat. Zum anderen aber die schon Anfang der 50er Jahre erstaunlich lebendige und breite Szene von Jazzlokalen und Jazzkneipen in Köln, heute vergessene Spielstätten wie etwa das „Bohème“ auf dem Eigelstein oder das Hotel Kosmopolit auf der Schildergasse. Hier verkehrte der Jazzfan Chargesheimer und fotografierte alles, was mit dem damals favorisierten „Cool Jazz“ zu tun hatte: Internationale Combos wie die von Lee Konitz, aber auch und immer wieder Hans Kollers „New Jazz Stars“.

Wir haben mehrere Aufnahmen gefunden bei uns im Archiv. Einmal ist die ganze Gruppe der Hans-Koller-New-Jazz-Stars im Campi, in seinem Vorraum, versammelt und gleichzeitig haben wir diese Aufnahme einer Jam-Session mit denselben Musikern zur selben Zeit, so dass ich sehr stark davon ausgehe, dass das in den Räumen von Campi stattgefunden hat. – Der Haupt-Impresario, der für die Etablierung dieser Jazz Form hier in Köln verantwortlich war, das war der Gigi Campi.

Pierluigi genannt Gigi Campi führte ein Eiscafé auf der Kölner Hohestraße. Das „Campi“ war in den 50er Jahren der Treffpunkt der intellektuellen Bohème der Stadt, – und von Musikern. Hier verkehrte auch Kurt Edelhagen, Chef des WDR-Rundfunkorchesters, in dem viele internationale Jazz-Stars spielten.

Und da ist dann, nachdem der Gigi besoffen war nach dem, was er da gehört hat, musikalisch, der war so begeistert, was er immer ist, aber da hat er eben wohl nachgedacht, jedenfalls kam es im Gespräch mit dem Edelhagen, und da sagt der Gigi: Pass mal auf, Kurt, ich stell dir eine Band zusammen, die besser ist als deine. Sagt der: Großartig, mach! Mach! Hier in Köln? Ja! Sollen wir wetten? Und da haben die um einen Kasten Champagner gewettet. Und das war die Idee, das erste Mal ausgesprochen, vom Gigi.

Wolfgang Hirschmann war damals Tonmeister bei der Plattenfirma EMI. 24 Alben er bis 1971 von der so entstandenen Big-Band produziert/aufgenommen, die nach ihren musikalischen Leitern Kenny-Clarke-Francy-Boland-Big-Band hieß, wird Hirschmann verantwortlich für die Aufnahmen ihrer sämtlicher 24 Alben sein, die Gigi Campi bis 1971 produzierte. Die überragende Qualität der Musiker und die Brillanz von Wolfgang Hirschmanns Aufnahmetechnik trug der Band damals den Ruf ein, die beste weltweit zu sein. Und sie faszinierte auch Chargesheimer.

Da hat er ja wirklich systematisch diese Big-Band von Francy Boland und Kenny Clarke, die hat er wirklich in sehr vielen Fotos durchfotografiert und besonders auch den Kenny Clarke. Da haben wir eine Serie von über 150 Aufnahmen, da war er also sehr nah an dem Musiker dran und hat versucht, das Spiel des Schlagzeugs in ästhetisch interessanten Fotos einzufangen.

Systematisch wandte Chargesheimer seine bewährten fotografischen Techniken auf die Band an, arbeitete mit harten schwarz-weiß-Kontrasten und wählte enge Bildausschnitte. So, dass seine Fotografien in gewisser Weise den Rhythmus des Jazz spiegeln. Er plante wohl, dieses Material zur Grundlage eines Jazz-Buchs zu machen. Daraus wurde durch seinen frühen Tod 1971 nichts. Immerhin aber gibt es jetzt ein Fotobuch zur Ausstellung.

WDR 5 Scala, 23. Mai 2022