Lützerath oder die Braunkohle-Symbolpolitik

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Die Grünen in der Regierungsverantwortung geben sich die größte Mühe, sich nach wie vor als Klimaaktivisten darzustellen. Mit stolz geschwellter Brust verkündeten Bundeswirtschaftsminister Habeck und seine NRW-Kollegin Mona Neubauer, den Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier von 2038 acht Jahre, also auf 2030, vorzuziehen. 280 Millionen Tonnen Kohle blieben damit im Boden, die CO2-Bilanz würde signifikant verbessert. – Ob es bei diesem Versprechen bleibt, steht angesichts der bisherigen grünen Krisen-Energiepolitik in den Sternen. Die bittere Pille bei der Verkündung der frohen Botschaft nämlich war: Das Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier südlich Mönchengladbach soll trotzdem abgebaggert, zum Opfer der grünen Klimapolitik werden. – Nach dem benachbarten Hambacher Forst wird Lützerath wohl zum nächsten symbolischen Ort der Braunkohle-Politik.

Als es den Sozialismus noch gab, gehörte Radio Eriwan zu den wenigen Institutionen, die ihn mit subversivem Witz kritisierten. Frage an Radio Eriwan: „Hätte die Katastrophe von Tschernobyl vermieden werden können?“ Antwort: „Im Prinzip ja. Wenn nur die Schweden nicht alles ausgeplaudert hätten.“ – Frage an Radio Eriwan: „Stimmt es, dass der Kapitalismus am Abgrund steht?“ Antwort: „Im Prinzip ja, aber wir sind bereits einen Schritt weiter.“

Jetzt, wo die Grünen an der Macht sind, bedarf es keines solchen kritischen Witzproduzenten wie des fiktiven Radiosenders Eriwan mehr. Die Grüne Realpolitik produziert ihre Witze selbst. Ganz besonders in der Energiepolitik. Frage: „Schaffen wir den Klimawandel und die Einhaltung des 1,5 Grad-Klimaziels?“ Antwort: „Im Prinzip ja. Wir müssen bloß noch weiter Kohle verstromen. Es ist ja für einen guten Zweck.“ Den „guten Zweck“ liefert ironischerweise der Angriffskrieg des vormals sozialistischen Russlands auf die Ukraine. Um die wegen dieses Kriegs ausbleibenden Gaslieferungen kompensieren zu können, benötige man – leider – ausgerechnet das unter dem kleinen Dörfchen Lützerath liegende Braunkohle-Flöz, behauptet die Grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. 

Lützerath, am Rande des Tagebaus Garzweiler II südlich von Mönchen-Gladbach, wird so zum Symbolort für die Glaubwürdigkeit grüner Energiepolitik. Denn mit der Realität hat dieangeblich durch Gutachten gestützte Aussage der Ministerin wohl kaum etwas zu tun. Real dagegen ist, dass Garzweiler II im Besitz des RWE-Konzerns ist und dass in NRW traditionell eine Kohle- und mithin RWE-freundliche Politik getrieben wird. Der wird sich eine grüne Ministerin ebenso wenig verweigern können wie die ebenfalls schon CDU-geführte Vorgängerregierung. Die ließ es zu, dass der RWE-Werkschutz vor vier Jahren rechtswidrig Klimaaktivisten aus dem benachbarten Hambacher Forst prügelte.

Doch auch für die Klimaaktivisten wird Lützerath jetzt zum Symbolort. Denn Lützerath existiert als Dorf nicht mehr, seine ursprünglichen Bewohner wurden vor einiger Zeit schon umgesiedelt. Jetzt haben es 150 Aktivisten besetzt, und die wollen es auf Gedeih und Verderb gegen die Braunkohlebagger verteidigen. Womit Lützerath wohl zum Wallfahrtsort und wichtigsten Schauplatz im Kampf um das 1,5-Grad Ziel werden wird.

Das Traurige an diesem Kampf ist, dass er angesichts der auch durch den Krieg verursachten Energiekrise zu einem bloß noch symbolischen Kampf geworden ist. Dass er je gewonnen werden kann, glauben wohl auch die größten Optimisten nicht mehr. Wie es überdies in symbolischen Kämpfen meist nie Gewinner, sondern nur Verlierer gibt. Den Kampf um Lützerath jetzt schon verloren hat die Glaubwürdigkeit der Grünen. Und den anderen Verlierern, den Aktivisten, die das Dorf besetzen, kann man nur noch wünschen, dass sie diesmal von den Knüppeln der Gewinner verschont bleiben.

WDR 3 Mosaik 6. Oktober 2022