Alain Babanckou, Das Geschäft der Toten

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Alain Babanckou. Das Geschäft der Toten. Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind. 272 Seiten, € 22,00

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/buecher/lesefruechte/das-geschaeft-der-toten-100.html

Die Geschichten des auf Französisch schreibenden und in Paris lebenden Kongolesen Alain Mabanckou führen gewitzt und humorvoll in die von verhängnisvollen Traditionen bestimmte gesellschaftliche Realität seiner Heimat ein: Auch in seinem neuen Roman verbrüdern sich autoritäre Machthaber mit Okkultismus, Aberglaube und Zauberei und gehen buchstäblich über Leichen, um ihre Macht zu erhalten. Ob ein eben von den Toten auferstandener 20-jähriger seinen eigenen, durch eine solche Intrige verursachten Tod selbst aufklären kann, ist die spannende Frage dieses Romans, der sich auch wie ein Polit-Thriller lesen lässt.

Bekanntlich ist es ein ziemlich irritierendes Gefühl, in einem Sarg aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass man lebendig begraben wurde. Unvergleichlich verwirrender muss das Gefühl sein, wenn man durch ein kleines Erdbeben aus seinem Grab geschleudert wird. Genau dies aber widerfährt in Alain Mabancous Roman dem knapp 20-jährigen Liwa Ekimakingai auf einem kongolesischen Friedhof mit dem schönen Namen Frère Lachaise. Verwundert blickt er sich um und stellt fest, dass er hier nicht der einzige lebendige Tote ist. Einer nach dem anderen kommen sie bei ihm vorbei und erkundigen sich, wie es denn so geht. Unter ihnen Lully Madeira, zu Lebzeiten ein trotz seiner buckligen Gestalt gefeierter Sänger. Der sammelt die Früchte, die von einem Mangobaum auf Liwas Grab gefallen sind und ist erstaunt, dass Liwa keine davon isst.

Warum hast du keinen Hunger? Du hast nichts gegessen, seit du gestorben bist, findet du das normal? Am Ende wirst du nur noch Haut und Knochen sein!

Lully Madeira, der Bucklige mit dem makabren Humor, hat sich seinen Buckel übrigens durch einen Zauber eingehandelt: Dafür, dass er darin böse Geister hausen ließ, sorgten die zu seinen Lebzeiten für seinen Ruhm als Musiker. Auch die meisten anderen Bewohner des Friedhofs verdanken ihren Aufenthalt hier ähnlichen Begegnungen mit der Schwarzen Magie diverser Zauberinnen und Zauberern. Deren Kräfte werden nämlich gerne von den Reichen und Mächtigen des Landes in Anspruch genommen, um sich an der Macht zu halten. Der Friedhof Père Lachaise erweist sich als der Ort, an dem deren Opfer nicht zur Ruhe finden. – Nachdem Liwa, der Icherzähler dieses Romans, seine eigene Beerdigung besucht und sich dabei ein bisschen in seinem alten Viertel umgetan hat, erahnt er, dass etwas mit seinem Tod nicht stimmt. Auch er könnte das Opfer eines Mächtigen geworden sein. Als er sich auf den Weg hinaus aus dem Friedhof macht, hält ihn Mamba Noir, der tote Friedhofswärter, auf.

„Du willst dich rächen, stimmt’s?“ „Im Prinzip hätte ich an jenem Abend nicht sterben müssen und…“ „Das sagen alle Toten, ein wenig wie Verbrecher, die trotz schlagender Beweise brüllen, sie seien unschuldig. Ich habe es dir schon mal gesagt, es ist hier wie im Leben, man stirbt nur einmal, du könntest es bereuen…“

Natürlich hört Liwa nicht auf den Friedhofswärter und macht sich auf den Weg zurück zum Tag seines Todes. Und der bahnte sich mit seiner Begegnung mit Adeline an, einem wunderschönen Mädchen, das er in der Diskothek Cérémonial kennenlernte. Hätte er da schon geahnt, dass es sich bei Adeline in Wahrheit um die tote, von ihrem skrupellosen Vater den bösen Geistern geopferte Samantha handelte, – hätte er dann darauf verzichtet, mit ihr zu tanzen? – Das Manko dieser schaurig-schönen und gekonnt verrätselt erzählten Geschichte ist leider die unelegante Übersetzung: Alle paar Seiten unterbricht ein umständliches Bürokratendeutsch den Lesefluß. Schaut man ins französische Original, drängt sich der Verdacht auf, es hier mit dem Werk eines Übersetzungsprogramms zu tun zu haben. Dass man trotzdem bei der Stange bleibt, verdankt der Roman der Kunst des Autors, in seine spannende Geschichte die geheimnisvoll-düsteren Seiten afrikanischer Kultur einzuweben und am Schluss sogar so etwas wie einen Polit-Thriller daraus zu machen.

WDR 5 Bücher 16. September 2023