Streitkultur

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Der SPD-Parteitag stellte den Versuch dar, die Reihen hinter Scholz zu schließen um ein einheitliches Bild abzugeben und geschlossen in die Auseinandersetzungen mit den anderen Koalitionären zu gehen. Es ging also neben der eigenen Positionierung um die Stärkung des Kanzlers, damit der endlich mit einem „Machtwort“ den Koalitionsstreit beendet. Denn dieser bereits lange andauernde Streit schien an der Substanz der Partei wie des Kanzlers zu zehren. Und insgesamt stellte sich der Streit der Ampelkoalitionäre in der letzten Zeit als eine Gefahr für den politischen Frieden dar. Aber sind Harmonie und Konsens überhaupt Dimensionen einer demokratischen Politik?

Die sich „Fraktur“ nennende tägliche Glossenspalte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schmückt in aller Regeln eine hübsch bunte Vignette aus dem Werk von Wilhelm Busch. Allzu augenfällig bietet sich dessen abgründiges kleinbürgerliches Familiendrama als Spiegel politischer Konflikte an. Doch so naheliegend es scheint, das Politische mit dem Familiären zu veranschaulichen – den Staatshaushalt mit der Familienkasse, den politischen mit dem Ehestreit – so grundsätzlich falsch sind solche Vergleiche.

Dass sie trotzdem so präsent sind, verdankt sich dem hohen emotionalen Stellenwert, den Familienkonflikte nun einmal haben. Wenn „der Haussegen schief hängt“, wenn es „Zoff“ in der Ehe gibt, besitzt das sowohl eine existentiell bedrohliche Dimension wie auch einen gewissen Unterhaltungswert. Das erklärt, warum der Streit zwischen den drei Koalitionspartnern in der Regierung nicht aus den Schlagzeilen verschwindet. Geradezu wollüstig stürzen sich Politologen und Kommentatoren auf jeden Dissens, der sich zwischen den Koalitionären auftut und malen den Teufel des Scheiterns der Regierung und Neuwahlen an die Wand.

Nicht nur im Unterton klingt in solchen Kassandrarufen das Verlangen nach autoritärem „Durchregieren“ mit, nach einem endgültigen „Machtwort“ des Kanzlers. Zum anderen scheint darin gleichzeitig ein großes Harmoniebedürfnis auf, der Wunsch nach einem friedlicheren, besonneneren, zumindest nach einem rationaleren Dialog zwischen den Regierungspartnern. Beides aber – Autoritätssehnsucht und Harmonieverlangen – entstammen dem familiären, dem privaten Bereich und haben mit Politik nichts zu tun. Jedenfalls nichts mit einer demokratischen Politik.

In einer demokratischen Politik kann es keinen friedlichen und besonnenen Konsens geben. Denn politische Fragen gestatten keine befriedigende Lösung für alle Bürger. Im gesellschaftlichen Leben sorgen unterschiedliche Interessen und Machtverhältnisse für anhaltende Konflikte. Warum sollte die Politik davon ausgenommen sein? Und da sich die gesellschaftlichen Gegensätze und Widersprüche nicht nur im Parlament, sondern im Fall der Ampelkoalition auch in den die Regierung bildenden Parteien abbilden, verlagern sich die gesellschaftlichen Konflikte eben in die Regierung selbst. Ja und?

In einer Demokratie ist es die Aufgabe der Parteien – auch wenn sie gemeinsam eine Regierung bilden – ihre eigenen Positionen durchzusetzen. Nicht, sie miteinander zu versöhnen. Die einzige Partei der Ampel, die sich bisher am ehesten durchsetzen konnte, ist die FDP. Es liegt an den beiden anderen, dagegen ihre eigene Agenda stärker zu profilieren und Position zu beziehen. Das kann trotz des dringenden Handlungsbedarfs nur im Konflikt geschehen. Bei zu viel Konsens und zu viel Harmonie sähen sich die Bürger nicht mehr durch die von ihnen gewählten Parteien vertreten. Deshalb werden sie es wohl aushalten müssen, dass es weiter Zoff in der Koalition gibt.

WDR3 Mosaik 11. Dezember 2023