John Sanford, Die Menschen vom Himmel

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John Sanford, Die Menschen vom Himmel. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Stremmel. Edition Tiamat 2023. 280 Seiten. 30 Euro

Vergessene Bücher sind immer für Überraschungen gut: John Sanfords 1943 erschienener Roman „Die Menschen vom Himmel“ erlebte nur eine einzige Auflage, auch, weil er dem weißen Amerika seinen rassistischen Spiegel vorhielt. Jetzt ist er in hervorragender Übersetzung erstmals auf Deutsch erschienen.

Es ist Sonntag. Die kleine Gemeinde von Warrensburg im Staat New York versammelt sich in der Kirche. Vorn auf der Kanzel schlägt Pfarrer Dan Hunter an einem Lesebändchen seine Bibel auf und schaut auf die Versammlung. In der letzten Reihe sitzt der alte Arzt der Gemeinde, Doc Slotum, und schaut auf die Hinterköpfe der Gemeindemitglieder. Zu jedem Hinterkopf kann er im Geist das Gesicht ergänzen und zu jedem fällt ihm eine Geschichte ein. Zu Arthur Hustis zum Beispiel, einem Farmer, der mit seiner vierzehnjährigen, von ihm geschwängerten Tochter in seine Praxis kam und von ihm verlangte, dass er das Kind abtreibe.

„Wenn das hier eine Welt wäre, die ich laufen lassen könnte wie eine Spielzeugeisenbahn“, sagte ich, „würde ich dir ein Glas mit vergiftetem Roggenwhisky einschenken und dir beim Sterben zuschauen.“ „Es ist aber nicht so eine Welt.“ „Was für eine ist es denn, Art?“ sagte ich. „Was für eine ist es?“

Vor diesem Roman sei gewarnt. Er ist nicht leicht zu lesen und nicht schnell zu verdauen. Es ist keine liegestuhltaugliche Literatur. Der Autor, der 1904 als Julian Shapiro in New York geborene John Sanford, hat seinen „Ulysses“ gelesen, sein Schreiben ist an dem von James Joyce geschult. Zwar erzählt er in dem 1943 erschienenen und Ende der 1930er Jahre spielenden Roman eine Geschichte mit einem Anfang und einem Ende. Doch wie Sanford sie erzählt, ist anspruchsvoll, auf der Höhe modernen Erzählens: In oft unverbundenen kurzen, vom Dialog dominierten Episoden geht es um die Geschichte einer schwarzen Frau, die eines Nachts regendurchweicht im fiktiven Dorf Warrensburg ankommt und dort zum Anlass eines rassistischen Pogroms wird. Doch wird diese Geschichte nicht linear, sondern verteilt auf eine Vielzahl von Personen erzählt, so, dass die Dorfgemeinde selbst zum Subjekt wird. Überdies ist der Roman eine literarische Kollage: Der Erzähltext ist eingebettet in neun in gebundener Rede verfassten Passagen über die Geschichte der Eroberung des amerikanischen Kontinents durch die Europäer. Diese Europäer erweisen sich darin eben nicht, wie die indigenen Völker zuerst glaubten und worauf der Titel des Buches ironisch anspielt, als „Menschen vom Himmel“:

Warum haben wir sie nicht vernichtet? / Warum, wo wir doch Wilde sind, unbeständig in Allem und Jedem / bis auf die Furcht, die sie zwingt die Fähigkeit zu / bewahren, schnell in Zorn zu geraten, listig zu sein, schnell zu rennen / warum mein Volk, warum haben wir sie nicht vernichtet?

Das lässt der Autor ausgerechnet die Algonkin-Häuptlingstochter Pocahontas sagen, die für den Mythos der angeblich friedlichen Besiedlung Amerikas durch die Europäer steht. Von der tatsächlichen brutalen Gewalt, mit der die weißen Eroberer zuerst den Indigenen und später dann den als Sklaven importierten Schwarzen begegneten, erzählt die eigentliche Geschichte des Romans: 

An der plötzlich in Warrensburg auftauchenden schwarzen Frau entzündet sich ein Konflikt, der die ganze Dorfgemeinschaft in Aufruhr bringt. Die einen folgen den rassistischen Sticheleien eines Mannes namens Eli Bishop, deren menschenfeindliche Botschaft sich ausbreitet wie schleichendes Gift. Die anderen, darunter Doc Slotum und der Pfarrer Dan Hunter, der die schwarze Frau aufnimmt, verteidigen nicht nur sie, sondern mit ihr auch das Prinzip der Menschenwürde. Dabei nutzt der Autor jede Chance, mittels seiner hohen Kunst der Dialogführung die Geschichte ihrem Höhepunkt zuzutreiben. 

„Sie nehmen Anstoß an dieser Niggerin“, sagte Polhemus. „Sagen sie ‚Niggerin‘?“, sagte Hunter. „Sie sagen ‚Niggerin‘“. „Sagst du ‚Niggerin‘?“ „Ja, ich sage ‚Niggerin‘.“ „Du kannst jetzt deinen Hut aufsetzen, Emerson.“ „Mir ist nicht kalt, Dan.“ „Nein, aber du bist im Begriff zu gehen.“ „Wenn ich fertig bin mit Reden.“ „Ich könnte schwören, du hast dich gerade verabschiedet.“

Der literarische Stellenwert John Stanfords zeigt sich an seiner Sprache und vor allem an seiner Fähigkeit, die grausamen Lakonie, zu der gerade die amerikanische Sprache fähig ist, wiedergeben zu können. Das transportiert auch die deutsche Übersetzung sehr gut und darum ist es ein großes Glück, dass es jetzt auch bei uns dieses zu Unrecht vergessenes Werk zu lesen gibt.

WDR3 Kultur am Mittag 22. Januar 2023