Der Islam gehört zu Deutschland?

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Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff im Jahr 2010 zum Tag der Deutschen Einheit die Behauptung in die Welt setzte, „Der Islam gehört zu Deutschland“, löste das zunächst einen Sturm der Entrüstung aus. Vor allem in seiner eigenen Partei, der CDU. Am entschiedensten widersprach der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder mit dem Argument, zwar gehörten Muslime inzwischen zu Deutschland, doch sei der Islam als Religion nicht Teil der deutschen Tradition und Identität. Obwohl das eine schlichte Tatsachenfeststellung war, scheint sich das Wulff-Diktum, der Islam gehöre zu Deutschland, inzwischen als allgemeiner Konsens eingebürgert zu haben.

An dem rüttelt nun die im Namen der muslimischen Religion betriebene Kriegspropaganda. Verbreitet in den Moscheen der Türkisch-Islamischen Union DITIB. Dieser Verband ist direkt der staatlichen türkischen Religionsbehörde unterstellt. Die gab nach dem Einmarsch der türkischen Armeen in syrisches Staatsgebiet eine Freitagspredigt heraus, einen Text, der unter Bezug auf die 48., die sogenannte Sieges-Sure des Koran um Hilfe für die „heldenhafte“ türkische Armee bat. Die gleiche Bitte richtete auch der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland über Twitter, –  direkt an Allah.

Eine solche Instrumentalisierung der Religion für eine nationalistische Kriegspropaganda ist in Deutschland unvorstellbar. Hier haben Staat und Religion seit 1949 nichts mehr miteinander zu tun. Die Bundesrepublik ist ein säkularer Staat. Allerdings gewährt sie den Religionen alle Freiheit. Das hängt nicht nur mit ihrem liberalen Charakter zusammen. Vielmehr ist sie sich der Tatsache bewusst, dass der liberale Staat und die ihn tragende Kultur auf religiösen Wurzeln beruhen. Der Verfassungsrechtler Wolfgang Böckenförde goss das in den berühmten Satz: „Der freiheitliche, säkularisiert Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Dass in Deutschland das Christentum, jedoch nicht der Islam zu diesen Voraussetzungen gehört, ist klar. Gleichwohl beschäftigte den im Februar verstorbenen Böckenförde angesichts des wachsenden Einflusses des Islam die Frage, ob der aus „inneren theologischen Gründen“ fähig sei, seinerseits den säkularen Staat „in seinem Freiheitsgehalt“ zu akzeptieren. Er kam zu einem abschlägigen Urteil: Für den Islam sei die Bewahrung beziehungsweise Verwirklichung der göttlichen Ordnung, ein religiöses Anliegen also, die grundsätzliche Aufgabe des Staates.

Die aus den türkischen Moscheen in Deutschland kommende Kriegspropaganda belegt die Unvereinbarkeit von freiheitlichem Staat und Islam. – Doch welchem Islam? Schließlich gibt es ja nicht nur die türkische Variante. Der türkischstämmige Journalist Mehmet Ata schlug kürzlich einen „deutschen Islam“ vor. Der müsse deutschsprachig sein, die Gedanken der Freiheit und Toleranz in sich tragen und die spezifisch deutsche Geschichte mitdenken. – Interessant ist, dass eine große Anzahl der in Deutschland lebenden türkischen Muslime diese Ansprüche bereits erfüllt. Ebenso interessant ist aber auch, dass genau so viele noch der religiös verbrämten Propaganda eines Autokraten folgen.

WDR 3 Resonanzen 15. Oktober 2019