Der gewalttätige Ausländer

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Die Hamburger Hochschule Macromedia hat vor wenigen Tagen eine vom „Mediendienst Integration“ in Auftrag gegebene Expertise herausgegeben. Sie trägt den Titel: „Berichterstattung über Gewaltkriminalität. Wie häufig nennen Medien die Herkunft von Tatverdächtigen?“ Das Ergebnis der Studie: Während im Jahr 2014 die Herkunft von tatverdächtigen Gewalttätern in der Fernsehberichterstattung praktisch keine Rolle spielte, wurde sie 2017 in jedem sechsten und 2019 in jedem dritten Beitrag erwähnt. In den untersuchten Zeitungen ist der Anteil mit 44,1 Prozent noch höher. Die Herkunft von mutmaßlichen Gewalttätern wird nur dann hervorgehoben, wenn sie Ausländer sind. Damit kehrt die Berichterstattung die Erkenntnisse der Polizei um: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik waren 2018 etwa 69 Prozent aller Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten Deutsche und rund 31Nichtdeutsche. In aktuellen Fernsehberichten hingegen werden nur drei Prozent aller Tatverdächtigen als Deutsche erkennbar, aber 28 Prozent als Nichtdeutsche. In den Zeitungsberichten sind Ausländer mit 41 Prozent gegenüber drei Prozent deutscher Tatverdächtiger noch stärker überrepräsentiert. Fazit: „Der gewalttätige Ausländer ist eine zentrale Angstfigur im deutschen Journalismus.“

Im Jahr 1922 legte der amerikanische Journalist Walter Lippmann mit seinem Buch „Public Opinion“ eine grundlegende Analyse der Massenkommunikation in der modernen Demokratie vor. Er kommt zu dem Schluss, dass alle Massenkommunikationsmittel das Bild der Wirklichkeit verzerren und verschieben können. Was zum einen vom ideologische Interesse der Nachrichtenproduzenten abhängt, wesentlicher aber davon, dass die Gesellschaft kein echtes Interesse an der Wirklichkeit hat. Das Publikum hört lieber das, was es gerne hören will, am liebsten Sensationelles. So kommt es, dass Nachrichten zustimmungsfähig zubereitet, in sie hinein also bereits die Meinung des Publikums eingearbeitet wird, – mitsamt seiner Vorurteile. Auf diese Weise kann am Ende die Nachricht über die Wirklichkeit mit dieser gar nichts mehr zu tun haben, ja sogar das genaue Gegenteil abbilden.

Die Expertise der Hamburger Hochschule Macromedia zur „Berichterstattung über Gewaltkriminalität“ liest sich wie die empirische Bestätigung dieser frühen Theorie zur Meinungsblasenbildung. Vor der Kölner Silvesternacht 2015/16 wurde die Herkunft von Gewaltstraftätern in den Medien nur selten erwähnt. Das mediale Interesse galt den Umständen der Tat und den Motiven des Täters, nicht seiner Nationalität. Als bekannt wurde, dass die Kölner Polizei die orientalische Herkunft der Täter absichtlich verschwiegen hatte, geriet auch die Presse zunehmend unter Druck, dieses Prinzip aufzugeben. Die Richtlinie 12.1 des Pressekodex lautete bis dahin, dass die Herkunft eines Täters nur dann genannt werden soll, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Sogenannte „Ehrenmorde“ sind beispielsweise ohne der Erwähnung der Herkunft der Täter kaum zu verstehen. Doch 2017, ein Jahr nach der Kölner Sylvesternacht, änderte der Deutsche Presserat diese Richtlinie dahingehend, dass die Herkunft „in der Regel“ nicht erwähnt werden soll, – es sei denn, es bestehe ein „begründetes öffentliches Interesse“.

Dieses „begründete öffentliche Interesse“ scheint inzwischen so häufig gegeben zu sein, dass die Berichterstattung nur noch ein Zerrbild der Wirklichkeit ist. Ausländische Tatverdächtige werden, so die Studie, in Fernsehberichten 19 Mal so häufig erwähnt, wie es ihrem statistischen Anteil entspricht. In Zeitungsberichten ist diese Quote noch höher. So entsteht in der Öffentlichkeit der falsche Eindruck, es würden überwiegend Ausländer Gewaltstraftaten begehen.

Aufschluss, woher das „begründete öffentliche Interesse“ an solcher Berichterstattung stammt, gab gestern der Thüringer Verband des Deutschen Journalisten-Verbandes DJV. Der führte das Ergebnis der Hamburger Studie als Beweis dafür ins Feld, dass die Rechtspopulisten doch vollkommen im Unrecht seien mit ihrer Behauptung, die Medien, also die sogenannte Lügenpresse, würde die Herkunft von Gewaltstraftätern der Bevölkerung absichtlich verschweigen. Jetzt sei doch endlich das Gegenteil bewiesen. Das klingt zwar nach unfreiwilliger Komik. Es zeugt aber eher vom Rechtfertigungsdruck, unter den die Medien inzwischen durch den Rechtspopulismus geraten sind.

WDR 3 Mosaik 13. Dezember 2019