Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biografie

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Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biografie. Klett-Cotta 2019 554 Seiten. 48 Euro. 

Betrachtet man einen Eintrag im „Brockhaus“ als Maßstab für die Bedeutung eines Autors, war Ernst Kantorowicz 1931 ein bedeutender Historiker. 60 Jahre später ist er ein vergessener Autor. Die Brockhaus-Ausgabe von 1990 kennt ihn nicht mehr. Erst über die Rezeption seines Werkes im Frankreich der 1980er Jahre, vor allem durch Michel Foucault, wurde er auch bei uns wiederentdeckt. Das zwischenzeitliche Vergessen ist umso erstaunlicher, als Kantorowicz in der Weimarer Republik als einer der wichtigsten Mediävisten galt. Diesen Ruf verdankte er seinem 1927 erschienenen Erstlingswerk über den letzten Staufer, „Kaiser Friedrich der Zweite“. Ein Buch, das die deutsche Historikerzunft erschütterte – und spaltete. Die einen bewunderten, die anderen verachteten es als unwissenschaftliche, mythengetränkte Heldenverehrung. Zu seinen Verächtern gehörte später auch der Autor selbst. Nach dem Krieg, da war er Professor in Princeton, versuchte er ein deutsche Neuauflage zu verhindern. Als dies 1963, kurz vor seinem Tod, dann aber doch geschah und er vom früheren Nazigeneral Hans Speidel ein Huldigungsschreiben erhielt, war Kantorowicz erbost:

Das ist natürlich genau die Schicht, deretwegen ich so lange zurückhielt mit einem Wiederdruck. Man sollte halt ein Buch, das bei Himmler auf dem Nachttisch lag und das Göring an Mussolini mit Widmung verschenkte, in völlige Vergessenheit geraten lassen.

Und eben darin lag auch der Grund, weshalb mit dem Buch auch sein Autor im Nachkriegsdeutschland vergessen wurden: Beide befanden sich in großer Nähe zum Nationalsozialismus. Kantorowicz, 1895 in eine großbürgerliche jüdische Familie geboren, nahm als glühender Nationalist am 1. Weltkrieg teil, schlug sich danach zu den Freikorps, war in Berlin an der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes, in München an der brutalen Liquidierung der Räterepublik beteiligt. Und auch die deutsche Nationalmystik Stefan Georges, zu dessen ergebenen Schülern Kantorowicz gehörte, wies erhebliche Schnittmengen mit der Naziideologie auf. Entsprechend schwer erträglich ist heute die Lektüre des ganz im Geiste und im Stil Georges verfassten Friedrich-Buches. Gustav Seibt sprach in den 90er Jahren von „ästhetisch veredeltem Faschismus“. – Und dennoch bildet das Friedrich-Buch einen Meilenstein in der deutschen Mediävistik, es erlöste sie nämlich aus ihrer damals in reiner Quellenkritik festgefahrenen Versteinerung: Kantorowicz fand durch die Verwendung außergewöhnlicher und vernachlässigter, etwa literarischer oder liturgischer Quellen zu einer bildhaften, lebendigen Geschichtsschreibung. Und auch an der Wissenschaftlichkeit des Friedrich-Buches hat der Kantorowicz-Biograf Robert E. Lerner keinen Zweifel:

Zum bleibenden Beitrag des Friedrichbuchs für die Geschichtswissenschaft gehören unter anderem die Studien zu Friedrichs Gesetzgebung, zur Schaffung eines protobürokratischen Staats und zur Gründung der ersten mittelalterlichen Universität ohne Beteiligung des Papstes. Für Nichtwissenschaftler war das Buch anregend, für Fachexperten nützlich und für beide gleichermaßen: einzigartig.

Robert E. Lerner ist ein emeritierter amerikanischer Mediävist, der dem alten Ernst Kantorowicz noch persönlich begegnete und der fasziniert von dessen überaus schillernden Persönlichkeit war. Die daraus resultierende Sympathie tut der Präzision seiner Biografie keinerlei Abbruch: Überaus kenntnisreich ist seine Darstellung der wissenschaftlichen Karriere des autodidaktischen Historikers. Und überaus detailliert die Schilderung seines bewegten Lebens. Nach dem Erfolg seines Friedrich-Buchs, das noch ohne jede Anmerkung auskam, mauserte er sich zum gewissenhaften Mittelalter-Forscher, erlangte 1932 eine Professur in Frankfurt am Main, die er 1934 wegen seiner jüdischen Herkunft aufgeben musste. Allerdings gelang es ihm, nicht entlassen, sondern mit 39 Jahren mit vollen Bezügen emeritiert zu werden und bis 1938 auf recht großem Fuß in Deutschland zu leben. Kantorowicz war damals ein dem guten Leben zugeneigter, immer bestens gekleideter Dandy mit einem regen, offen bisexuellen Liebesleben. 

Daran änderte sich nichts nach seiner 1938 erzwungenen Emigration in die USA, wo er in Berkeley 1939 zuerst einen Lehrauftrag, ab 1945 eine Professur bekam. Umgeben von seinen Studenten und in Kontakt zu einer unüberschaubaren Schar von Freunden konnte er sich gleichermaßen dem guten wie dem wissenschaftlichen Leben widmen. Bis die McCarthy-Ära anbrach und sich der vormals Rechtsradikale in einen streitbaren Linken verwandelte, als ihm nämlich die Universitätsverwaltung die Unterzeichnung eines antikommunistischen Eides abverlangte. Er verweigerte ihn. Ein Professoren-Kollege erinnerte sich später:

In einem seltsamen rhythmischen Singsang, mit hoher Stimme, aber Leidenschaft, sprach er von den Eiden, die in den frühen Tagen von Hitlers Herrschaft verlangt wurden. Seine Aussage war dabei immer: ‚So fängt es an!’

In Berkeley wird Kantorowicz gefeuert, bekommt gleich darauf aber in Princeton eine neue Professur, wo er zu einem heiteren Gelehrtenleben zurückkehren und sein Opus magnum, „Die zwei Körper des Königs“ schreiben kann, eine der bedeutendsten Studien zur mittelalterlichen Herrschaft. – Ein spannendes, erfülltes Leben. Und ein immer noch viel zu wenig bekanntes Werk. Das wird die herausragende Biografie Robert E. Lerners hoffentlich ändern.

WDR 3 Mosaik 3. Juli 2020

https://www1.wdr.de/kultur/buecher/lerner-ernst-kantorowicz-biografie-104.html