Jugendkrawalle und „struktureller Rassismus“

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Es ist ja nicht so, das Jugendkrawalle bei uns etwas Neues wären. In der Eingangsszene des 1956 gedrehten Films „Die Halbstarken“ wird Freddy alias Horst Buchholz im Schwimmbad vom Bademeister zurechtgestutzt, weil er eine Zigarette raucht. Darauf schnappt sich Freddys Bande den Bademeister und verprügelt ihn. – Die Tatsache, dass sich die Halbstarken heute statt Bademeister lieber Polizisten vornehmen, hat den Bundesinnenminister auf den Plan gerufen. Vehement fordert er eine Studie über Gewalt gegen Polizeibeamte. Denn, so seine Begründung, wir erlebten gerade einen Trend dieser Gewalt. 

Hartnäckig lehnt derselbe Minister dagegen eine Untersuchung darüber ab, ob es in der Polizei rassistische Verhaltens- und Denkmuster gibt. Seine Begründung lautet hier, Zitat: „Wir haben in der Polizei kein strukturelles Problem mit Rassismus, davon bin ich überzeugt.“ – In welchem Paradies leben wir, wo ministerielle Überzeugungen Tatsachen schaffen! Wenn die doch auch die Affäre „NSU 2.0“ aus der Welt zaubern könnten. – Aber möglicher Rassismus in der Polizei hat doch nun wirklich nichts mit den nächtlichen Jugend-Krawallen und der Gewalt gegen Polizisten zu tun! – Wirklich nicht?

Die nach der Frankfurter Randale-Nacht festgenommenen mutmaßlichen Täter sind fast alle polizeibekannt und es sind junge Männer mit einem sogenannten Migrationshintergrund. – Lassen wir die ministeriellen Überzeugungen einmal beiseite, heißt das: Sie haben alle schon öfter Polizeikontrollen erlebt, bei denen sie aufgrund ihres Aussehens herausgepickt wurden und sich deswegen herabgesetzt fühlten. Und, dafür gibt es auch Belege: Opfer von Polizeigewalt wurden. Dass bei solchen Jugendlichen Polizisten kein Feindbild darstellen, wäre ein Wunder.

Aber was ist mit jenen, die diesen Krawallmachern und Flaschenwerfern in der alkoholgeschwängerten Frankfurter Nacht Beifall geklatscht, sie angefeuert haben? An die 800 sollen es gewesen sein. Es liegt nahe zu vermuten, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie die Täter selbst, mit ihnen das gleiche Welt- und damit Polizeibild teilen. Was subjektiv und deswegen nicht richtig ist: Die Polizei hierzulande verdient angesichts ihrer schweren und oft erfolgreichen Deeskalationsarbeit durchaus Lob Seehofers. Was Kritik an ihr allerdings nicht ausschließen darf.

Abgesehen davon, dass der lange Corona-Lockdown, die geschlossenen Clubs und Bars bei vielen Jugendlichen zu einem Energiestau geführt haben, der sich auf der Straße gewaltsam Luft verschafft: Will man in den Halbstarken-Krawallen von Stuttgart und Frankfurt wirklich einen Trend erkennen, verdiente der in der Tat nähere Aufmerksamkeit. Denn er liegt quer zur gut erforschten Beobachtung, dass Jugendgewalt an sich seit Jahren zurückgeht. Schaut man dagegen genauer in die Statistiken, zeigt sich, dass die Gruppe der sozial benachteiligten, oft perspektivelosen jungen Männer – und darin haben Migranten einen großen Anteil, überproportional gewaltbereit ist. Und dass sich deren Gewalt gegen eine Polizei richtet, die sie als übergriffig und diskriminierend empfinden, kann niemanden erstaunen. 

In Anbetracht dessen sollten sich die Überzeugungen des Innenministers also in Neugierde verwandeln, und die sollte in zwei Untersuchungen münden: In die Erforschung der Gewaltbereitschaft junger Männer mit Migrationshintergrund, –  und in die der Vorurteile von Polizisten gegen diese jungen Männer. Nur beides zusammen könnte zu einer Erklärung für die neuen Jugendkrawalle führen.

WDR 3 Resonanzen 21.Juli 2010