Julia Deck, Privateigentum

Veröffentlicht in: Allgemein, Rezensionen | 0

Aus dem Französischen von Antje Peter. Wagenbach.144 Seiten. 18,– €

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/buecher/lesefruechte/privateigentum-100.html

Das Leben im Grünen, – ein Traum! Lange hat das gutsituierte Pariser Ehepaar Eva und Charles Caradec, beide um die fünfzig, diesen Traum geträumt. Jetzt verwirklichen sie ihn, ziehen in eine Vorstadt und bewohnen ein eigenes Heim in einer neu gebauten Siedlung aus vier Doppelhäusern. Ökologisch ist das Viertel auf dem allerneuesten Stand, mit autonomer Energieversorgung und eigenem Kompostbecken.

Alle unsere Nachbarn waren zufrieden. Sie hatten an Platz gewonnen und an Grünfläche, und alle beglückwünschten sich unentwegt, diesen guten Riecher für unser Ökoviertel gehabt zu haben.

Die Idylle trügt. Sehr schnell entwickeln sich unter der Oberfläche gutnachbarschaftlicher Beziehungen verbissene und am Ende tödliche Feindschaften zwischen den Familien. Vor allem die Lecoqs in der anderen Doppelhaushälfte, die Immobilienmakler Annabelle und Arnaud samt Kleinkind und rotem Kater, erweisen sich bald als unerträglich. Annabelle ist völlig distanzlos, Arnaud immer mürrisch. Und ihr dicker roter Kater spaziert bei den Caradecs ein und aus, als gehöre er zu ihrem Haus. Ein Vierteljahr lang brodelt der Hass von Eva und Charles auf die Nachbarn unterirdisch, dann entlädt er sich schließlich im Plan, den Kater zu massakrieren.

In der Folge haben wir oft über die Idee nachgegrübelt. Es kam einfach über uns, wenn die Lecoqs wieder einmal eine Grenze überschritten. So feilten wir an den Details, als würden wir Nadeln in eine kleine Puppe stecken, in der vagen Hoffnung, sie möge leiden, vor allem aber voller Lust an unserer beispiellosen Grausamkeit. Das tat uns gut.

Die Menschen in Julia Decks Roman sind nicht gut, sie sind nur höchst kompliziert, und das macht sie unberechenbar und am Ende böse. Alle. Die Erzählerin selbst, Eva, ist da nicht ausgenommen. – Als der dicke rote Kater eines Tages tatsächlich aufgeschlitzt auf dem Rasen der Lecoqs gefunden wird, lässt sie lange offen, ob sie und ihr Mann tatsächlich als Täter in Frage kommen. Und als dann schließlich Annabelle samt Kleinkind spurlos verschwinden, fällt der Verdacht am Ende tatsächlich auf Charles und er wandert in Untersuchungshaft.

Der Anwalt antwortete mir geduldig wie immer, er sei weder ein Privatdetektiv noch ein Zauberkünstler. Ich wünschte, die Telefone bestünden noch immer aus dem schweren Bakelit wie einst, um den Hörer richtig aufzuknallen. 

So kann man „Privateigentum“ durchaus als einen Kriminalroman lesen, und zwar einen, der die Leser ständig auf falsche Fährten lockt und am Ende die Lösung vollkommen offen lässt. Das ist eine Spezialität der Autorin Julia Deck. „Ich liebe Bücher“, sagt sie in einem Interview, „die ich von vorn lesen muss, wenn ich am Schluss angelangt bin.“ – Doch die Verwirrung ist nicht nur eine Krimi-Attitüde, sondern hat System. In der Verwirrung der Erzählung spiegelt sich die ihrer Protagonisten, ihre Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, ihr Mangel an Hoffnung. Das ist das, was sie böse macht. Julia Deck legt an diese Bösartigkeit mit psychoanalytisch geschulter Präzision und beißender Ironie ihr schriftstellerisches Seziermesser und damit den einen oder anderen Abgrund des modernen Seelenlebens frei. Ein höllisches und von Antje Peter kongenial scharf übersetztes Lesevergnügen!

WDR 5 Bücher 12. September 2020