Franz Schuh, Lachen und Sterben

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Franz Schuh, Lachen und Sterben. Paul Szolnay Verlag. 331 Seiten. 26 Euro

Dass eine Theorie des Lachens, die Franz Schuh in seinem neuen Essayband vorlegt, zutiefst ins Nachdenken über den Tod eingeflochten ist, versteht sich bei einem gebürtigen Wiener von selbst. Zumal er im Jahr der Entstehung diese Buches mit dem Tod gerungen hat und viel Zeit in Spitälern verbringen musste. Einer Freundin, die ihn dort besuchte, teilte der behandelnde Arzt sogar seinen wahrscheinlich bevorstehenden Tod mit. Und fügte hinzu: „Er hat sich ja immer für den Tod interessiert.“

Hab Wasser in den Beinen/bin mit mir im Reinen/hab kein Knie/keinen Muskel,/der noch geht/keinen Fuß,/der noch steht/aber es fehlt mir an nichts/Ich hab ja den Blues/den Blues, nichts als den Blues.

Auch wenn er ab und zu Gedichte, Liedtexte und Sketche einstreut, bleibt Franz Schuh in erster Linie Essayist und er bleibt in der Tradition des ersten Essayisten Michel den Montaigne. So wie dessen Denken immer von der eigenen physischen Befindlichkeit ausging, entfernen sich auch Franz Schuhs Gedanken nie allzu weit von seinen persönlichen Erlebnissen, Vorlieben und Abneigungen. Das macht sie bei aller Komplexität und mancher dialektischen Vertracktheit immer nahbar, verständlich und vor allem: sehr sympathisch. – Als kleines Beispiel für den Wiener Schmäh bringt Franz Schuh, der ebenso schwergewichtig ist wie der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch, folgende Begegnung:

Ich gehe an der Auslage der Hermann-Nitsch-Foundation vorbei, redet mich ein Mann an: „Hearn S’, sans Se da Nitsch?“ – „Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, „aber einen Wunsch habe ich schon: Könnten Sie mich bitte mit jemand anderem verwechseln?“ „Jo“, sagt er, „aber mit’m Travolta geht des net.“

Um diesen Schmäh kreisen die meisten seiner Essays, denn im Schmäh vereint sich ihm nach das Lachen mit der Einsamkeit des Wiener Grantlers. Und die Einsamkeit wiederum hat naturgemäß mit dem Tod zu tun. Denn wo ist man schon einsamer als im Tod? Das Lachen aber übertönt die Angst vor dem Tod. Nichtsdestoweniger bleibt der Wiener Schmäh, behauptet Franz Schuh „depressiv grundiert“.

Wer nun erwartet, der Philosoph Schuh präsentiere in seinen Essays eine irgendwie kompakte Philosophie über den Zusammenhang von Lachen und Sterben, verkennt den Charakter des Schuhschen Denkens. Franz Schuh ist kein systematischer, sondern ein assoziativer Denker, er denkt von Fall zu Fall, in Assoziationsketten, so, wie sich Heinrich von Kleist die allmähliche Verfertigung von Gedanken beim Reden vorgestellt hat. Dass diese Gedanken immer plastisch und anschaulich bleiben, rührt auch von Franz Schuhs großer Sympathie fürs „Tingeltangel“, für die Trivialkultur. Seinen Vorlieben etwa für den von ihm als Genie gepriesenen Harald Schmidt oder Kabarettisten wie Helmut Qualtinger, Ringsgwandl oder Lukas Resetarits widmet er auch einzelne seiner Essays. Und von letzterem, seinem Freund Resetarits, leitet Franz Schuh sogar die „Leitidee“ seiner um den „Schmäh“ kreisenden „Humortheorie“ ab.

Die Grundvoraussetzung für den Schmäh ist, dass man zuerst einmal auch selber Opfer ist, eigenes Versagen quasi über a Geschichtl darbringt, weil man damit die anderen auch öffnet und eine gewisse Gleichberechtigung  gegenüber den Opfern, die man sonst aufs Korn nimmt, von vornherein herstellt.

Die Selbstironie, das grundsätzliche Sich-selbst-nicht-so-wichtig-Nehmen ist der Kern von Franz Schuhs philosophischem Nachdenken übers Lachen und Sterben. Da unterscheidet er sich von seinem großen Vorbild Nietzsche. Doch gerade diese Selbstironie macht seine Philosophie zu einer wahrhaft „Fröhlichen Wissenschaft“ fürs 21. Jahrhundert.

WDR 5 Bücher 13. März 2021