Völkermord oder Völkermord?

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Nach mehr als sechs Jahren zäher Verhandlungen und nach einigen in den USA geführten Prozessen hat die Bundesregierung nun endlich das von deutschen Kolonialtruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verübte Massaker im heutigen Namibia als „Völkermord“ anerkannt. Diese Geste der Versöhnung und die Bitte um Vergebung unterstreicht die Bundesregierung mit der Zusagen von 1,1 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe – gestreckt auf 30 Jahre. Das klingt auf den ersten Blick als sehr nobel. Doch man fragt sich, warum viele der damals eigentlich Betroffenen – die Nachfahren der von den deutschen Kolonialtruppen fast vollständig ausgerotteten Volksgruppen der Nama und Herero – damit nicht zufrieden sind. 

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Als der Schriftsteller Uwe Timm im Jahr 1978 seinen Roman „Morenga“ veröffentlichte, wurde er von vielen dafür gelobt, von vielen anderen aber als „Nestbeschmutzer“ beschimpft. Der Grund: Timm räumte mit diesem Roman als einer der ersten mit der Verklärung der deutschen Kolonialzeit auf. Aus der Perspektive eines fiktiven Oberveterinärs erzählt seine Geschichte vom Vernichtungsfeldzug des deutschen Generals Lothar von Trotta im Jahr 1904 gegen die aufständischen Volksgruppen der Nama und Herero im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Die meisten von ihnen trieb er in die Wüste und ließ sie dort verdursten.

Heute verklärt niemand mehr den deutschen Kolonialismus, heute schämt man sich dafür. Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat sich jetzt bei den Nachfahren der damals fast ausgerotteten Völker im heutigen Namibia entschuldigt, bat um Vergebung und bot ihnen darüber hinaus eine große Summe Geld – mehr als eine Milliarde Euro – als Geste der Versöhnung an.

Eine „Geste“ soll diese Geldgabe sein. Keine „Entschädigung“ für die von Deutschen begangenen Gräueltaten, erst recht keine „Reparation“. Denn die Zahlung von „Reparationen“ würde völkerrechtlich bedeuten, dass die deutsche Bundesregierung die von ihrer Rechtsvorgängerin begangenen Verbrechen tatsächlich als „Völkermord“ anerkennte. Das tut sie aber nicht. In der Erklärung des Außenministers heißt es statt dessen, dass es sich „aus heutiger Perspektive“ um einen Völkermord handelte.

Mit solcher Wortklauberei sucht sich die Bundesregierung wieder einmal aus der Verantwortung zu stehlen. In Bezug auf die Verbrechen anderer Nationen tut Deutschland es sich leichter. Den Völkermord der Türkei an den Armeniern „anerkannte“ der Bundestag 2016 umstandslos. Ungefragt und ohne rechtliche Kompetenz. Stellen aber von Deutschland Geschädigte etwa aus dem letzten Weltkrieg Ansprüche – zum Beispiel aus dem griechischen Distomo oder die italienischen Militärinternierten, schaltet man auf taub.

So sind auch die sich über Jahre ziehenden, zähen Verhandlungen mit der Regierung und den Vertretern der betroffenen Volksgruppen in Namibia zu erklären. Manche sprachen von einem wahren Geschacher um die Bedingungen der längst überfällige Entschuldigungsgeste Deutschlands. Denn Deutschland drückt sich deshalb immer wieder und immer noch um Entschädigungen und Reparationen, weil deren Höhe von internationalen Gerichten und nicht von ihm selbst  – als freiwillige „Geste“ – festgelegt würden.

Doch wenn ein deutscher Außenminister für über hundert Jahre zurückliegende Verbrechen seiner Nation um Verzeihung bittet, sollte das mehr als eine diplomatische Geste sein. In ihr sollte sich auch das Selbstverständnis Deutschlands als verantwortungsvolles Mitglied der den Menschenrechten verpflichteten Völkergemeinschaft spiegeln. Deshalb wäre die Entschuldigungsgeste in Richtung Namibia sehr viel glaubwürdiger und aufrichtiger, wäre mit ihr endlich auch die Anerkennung verbindlicher Ansprüche verbunden.

WDR 3 Resonanzen 28. Mai 2021