Revolutionsrot

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Die Parteien setzen an zum Wahlkampf Ende September. Dazu gehören nicht nur laute Sprüche gegen die Gegner, sondern auch Wahlkampfkampagnen, die die eigenen Werte, die „Identität“ der Partei zur Schau stellen und damit für sie werben wollen. Konsequenterweise hat die SPD dafür schon im letzten Jahr einen bewährten Werber, den Hamburger Raphael Brinkert, verpflichtet. Eine gute Wahl, denn Brinkert kennt den Hauptgegner der SPD gut, die CDU. Er war dort Mitglied und hat für Angela Merkel mehrere Kampagnen gemanagt. 

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-resonanzen/audio-zwischenruf-das-neue-rot-der-spd-wirds-richten-100.html

Der Legende nach tauchte die rote Fahne als Zeichen der Revolution zum ersten Mal in den Barrikadenkämpfen der französischen Juni-Revolution 1830 auf. Will man dem Historiker Eric Hazan glauben, erfuhr das Symbol dort eine merkwürdige Umdeutung. Denn bis dahin hatte die rote Fahne als ein Warnzeichen der Ordnungskräfte gedient, die es kurz vor Beginn von gewaltsamen Einsätzen gegen Aufständische benutzten. Jetzt trug die Fahne  das Rot der revolutionären Jakobinermützen aus der Großen Revolution von 1789.

Man begibt sich aufs Feld von Spekulationen, wendet man dieses historische Beispiel für die Umdeutung von Symbolen auf die Wahlkampfkampagne der SPD an. Im Zentrum der vom Werberprofi Raphael Brinkert konzipierten Kampagne steht nämlich ein knalliges Rot der Plakate und Internetauftritte. Das Rot der SPD, sagt der Werber, sei im Laufe der vergangenen Jahre immer blasser geworden. Das neue, kräftige Rot der SPD sei auch als eine Rückbesinnung auf die Werte der Partei zu verstehen. 

Ist damit etwa das alte, das revolutionäre Rot der SPD-Fahnen gemeint, unter denen die Partei noch gegen die Monarchie, den Kapitalismus und später gegen die Nazis marschierte? Das Rot, in dem symbolisch noch der Kampf der Arbeiterklasse gegen Unterdrückung und Ausbeutung aufgehoben war? Das wäre allerdings auffrischungsbedürftig. Denn immerhin hat die SPD seit Willi Brandts Radikalenerlass, seit Helmut Schmidts Verdammung der Visionen und Gerhard Schröders Hartz-IV-Gesetzen auch den allerletzten Verdacht widerlegt, sie sei eine klassenkämpferische Partei.

Aber nein! Nicht die ehemaligen SPD-Anhänger will die aktuelle Werbekampagne zurückgewinnen. Nicht diejenigen, die der Partei der Rücken kehrten, weil die ihre Kapitalismus-kritische aufgab. Sondern diejenigen, die wegen Angela Merkel zur CDU übergelaufen sind. Das Kalkül dahinter: sie würden sich für Olaf Scholz entscheiden, wenn er als Erbe der Kanzlerin aufträte. Nach dem Motto: Auf Mutti folgt Vati.

Solche Denkungsart liegt in der Natur von Werbeprofis. Zumal solch wandlungsfähigen wie Raphael Brinkert, der vor einem Jahr noch Kampagnen für die CDU-Kanzlerin bestritt. Für ihn ist die SPD ein Werbekunde wir jeder andere. Er habe der Verpackung bloß eine „andere Schleife“ verpasst. Zur „anderen Schleife“ gehört neben der gereckten Arbeiterfaust auf einem der Wahlkampfplakate eben nun auch wieder das kräftige Rot der Revolution.

Mit Blick auf die subversive Umdeutung der roten Fahne im Juni 1830 vom Zeichen der Ordnung zu dem der Revolution ist das natürlich ein allzu durchsichtiger Etikettenschwindel. – Aber vielleicht gewinnt die SPD doch noch eine kleine Chance, über die 15 Prozent zu kommen, wenn sie ihre Inhalte ein bisschen dem neuen Etikett anpasste.

WDR 3 Resonanzen 18. Juni 2021