Zapfenstreich – Schlussstrich statt Aufarbeitung

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Nach mehrtägiger Diskussion zwischen Vertretern der Bundesregierung und des Parlaments ist jetzt doch entschieden worden, die Soldaten und Soldatinnen mit einem Großen Zapfenstreich zu ehren, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan im Einsatz waren. 

Der Große Zapfenstreich ist eine pompöse militärische Zeremonie, die sich wie alles Pompöse haarscharf am Rande des Lächerlichen bewegt. Man muss schon sehr viel fürs Soldatentum übrig haben, um sich beim Aufzug von behelmten Uniformierten ergriffen zu fühlen, wenn sie zum Preußischen Zapfenstreichmarsch wie zu groß geratene Pfadfinder nächtens mit Fackeln und geschulterten Gewehren aufmarschieren. Nichtsdestoweniger hat die Bundeswehr, obwohl sie eine Parlamentsarmee ist, diese Zeremonie aus dem preußischen Militarismus übernommen. Und trotz mancher Proteste dagegen bürgerte sich in der zweiten deutschen Demokratie der Anachronismus ein, mit dieser Zeremonie Bundespräsidenten und Verteidigungs-Ministern und Ministerinnen einen ehrenvollen Abschied zu gewähren.

Nun soll auch den 160.000 Soldatinnen und Soldaten, die in den letzten Jahren im Afghanistan-Krieg im Einsatz waren, mit diesem Zeremoniell gedacht, den dort Gefallenen die letzte Ehre erwiesen werden. Wobei die Begriffe „Krieg“ und „Gefallene“ von Regierung und Parlament peinlichst vermieden wurden. Immer und immer wieder hat die Politik geleugnet, dass es sich am Hindukusch um einen Krieg handelt und stattdessen von einer „Friedensmission“ und „Aufbaumaßnahmen“ geredet. Jetzt, wo weder von Frieden noch von Aufbau die Rede sein kann, wo sich die gesamte von den USA initiierte Aktion als grandioser Fehlschlag herausstellt, schienen die Offiziellen und Verantwortlichen die Angelegenheit ganz schnell dem Vergessen überantworten zu wollen.

Anders ist nicht zu erklären, warum sich kein Parlamentarier oder Politiker blicken ließ, als die zurückkehrenden Soldatinnen und Soldaten aus ihren Transportmaschinen stiegen. Warum die Verteidigungsministerin wochenlang an einer bloß Bundeswehr-internen Gedenkfeier im Bendlerblock festhielt. Warum Regierung und Parlamentarier tagelang stritten, bis sie sich für den offiziösen Zapfenstreich entschieden. – Das alles spiegelt das ambivalente Verhältnis der Politik zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wie auch zu deren übrigen Auslandseinsätzen. Eher widerwillig verlängert das Parlament häppchenweise die Mandate. Denn sie sind in der Bevölkerung äußert unpopulär. Die Bundeswehr mag eine Parlamentsarmee sein, aber ein Liebling des Wahlvolkes ist sie damit noch lange nicht.

Trotzdem ist es recht und billig, dem Einsatz der Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan die Ehre zu erweisen. Ob er nun sinnvoll war oder nicht. Doch genau in der Aufarbeitung dieser Frage bestünde der eigentliche Kern der Ehrerweisung: Zu klären, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen dieser Einsatz erfolgte. Und ob diese das Leiden und den Tod der Einzelnen rechtfertigten oder nicht. Dann wäre auch gegen eine Gedenkfeier nichts einzuwenden. Und da die Bundeswehr ja ein Parlamentsarmee ist, wäre es vielleicht auch angebracht, die im Parlament selbst abzuhalten, statt mit einem bombastischen preußischen Aufzug auf der Wiese davor. 

WDR 3 Mosaik 15. Juli 2021