Vom Ende der allgemeinen Heiterkeit

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Die schon seit Tagen im parlamentarischen Raum stehende Forderung der FDP-Fraktion, im neuen Bundestag nicht mehr neben der der AfD sitzen zu wollen, hat neuen Rückenwind bekommen. Jetzt unterstützt auch die Linke eine neue Sitzordnung im Bundestag und will der FDP helfen, ihren Platz neben der AfD an CDU und CSU abzugeben. »Jeder Demokrat, der nicht mehr neben der AfD sitzen möchte, hat meine volle Unterstützung«, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linkenfraktion, Jan Korte.

In den Protokollen der Sitzungen des alten Bundestages taucht häufig die Wendung von der „allgemeinen Heiterkeit“ auf. Der Ausdruck bezeichnete eine Stimmung, die das Plenum der Abgeordneten erfasste, wenn einer der Redner oder Rednerinnen etwas Lustiges sagte oder einem Zwischenrufer ein guter Witz gelang. Bei allem Ernst der Politik: Das parlamentarische Lachen ist das Qualitätsmerkmal einer gelassenen Demokratie, Gelassenheit das Kennzeichen von Demokratie überhaupt.

Mit der „allgemeinen Heiterkeit“ ist es seit dem Einzug der AfD in den Bundestag vorbei. Vor einiger Zeit protokollierte die Süddeutsche Zeitung einmal die lauten Lacher von Abgeordneten bei den Bundestagssitzungen. Binnen 24 Sitzungstagen zählte sie durchschnittlich 60 Lacher bei den übrigen Fraktionen, bei der der AfD jedoch 156. Wobei deren Lacher keineswegs fröhlich, herzhaft oder gar heiter, sondern aggressiv und höhnisch klangen. – Mit dem Einzug von Völkischen und Nationalisten war es in der Geschichte der europäischen Parlamente schon immer vorbei mit der Gelassenheit der politischen Kultur: Immer stand die Demokratie damit auf der Kippe zur Ochlokratie, zur Pöbelherrschaft.

Die „Pöbeleien“ der AfD-Fraktion, so die Klage der FDP, habe ihr das Leben im Bundestag schwer gemacht. Ständig seien ihre Abgeordneten durch unqualifizierte Zwischenrufe, verächtliches Lachen, homophobe und sexistische Sprüche von der rechten Seite belästigt worden. Von der Zerstörung der parlamentarischen Kultur insgesamt durch den lauten, provokanten Auftritt der AfD im Bundestag ganz zu schweigen. – Was also kann die FDP tun, um den rechten Sitznachbarn loszuwerden? 

Meint die Linke es ernst mit ihrem Angebot, könnte sie ihren Platz auf der äußersten Linken der parlamentarischen Sitzordnung räumen und für die FDP freimachen. Die FDP wird sich hüten, ihn einzunehmen. Denn immer noch gilt die von der französischen verfassungsgebenden Versammlung von 1789 vorgegebene politische Symbolik: Ganz links sitzen die Revolutionäre, ganz rechts die Monarchisten und Reaktionäre. Und in der Mitte nehmen die „Gemäßigten“ Platz. Dahinein würde sich jetzt auch am liebsten die FDP schieben: Links von der CDU. Doch die wehrt sich vehement, weiter nach rechts zu rücken. Und erst recht nicht neben den Pöbel.

Aber muss es denn nicht auch in der parlamentarischen Sitzordnung irgendeine Strafe für die krachende Wahlniederlage der CDU geben? Die Sitzenbleiber und Versager in der Schule konnten sich früher auch nicht ihre Plätze selber aussuchen, sondern mussten sich ganz hinten auf den Katzenbänken neben die pöbelnden Lümmel quetschen.

WDR 3 Resonanzen 19. Oktober 2021