10 Jahre AfD

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Heute feiert die AfD in Königstein im Taunus den 10. Jahrestag ihrer Gründung im Jahr 2013. Zunächst wurde sie von den anderen politischen Parteien als „euroskeptische Professorenpartei“ belächelt und nicht ernst genommen. Bis sie sich dann von ihren wirtschaftsliberalen Gründern (Bern Lucke) trennte, unter Frauke Petry und Jörg Meuthen immer stärker nach rechts bewegte und 2017 mit einem Riesenwahlerfolg von 12,6 Prozent in den Bundestag einzog. Danach war in ihr die Entwicklung zum Rechtsradikalismus nicht mehr aufzuhalten; inzwischen gilt sie wegen des in ihr weit verbreiteten rassistischen, antisemitischen, völkischen und demokratiefeindlichen Gedankenguts bei den Verfassungsschutzämter als „Prüffall“. – Zu Recht, meinen die Demonstranten, die heute ebenfalls in Königstein zum Jubiläum dabei sein werden und in ihr eine „ernste Gefahr für die Demokratie“ sehen. – Ist sie das wirklich oder ist sie nicht auch ein Symptom der Schwäche unserer Demokratie?

Im Jahr 1967 reiste der Philosoph Theodor W. Adorno nach Österreich, um dort vor Studenten über die in Gestalt der neofaschistischen NPD wiederauflebende politische Rechte in Deutschland zu sprechen. Am antidemokratischen Charakter der Partei ließ er in seiner Rede keinen Zweifel. Er fragte aber auch, warum Rechte Kräfte wieder stärker wurden. „Faschistische Bewegungen“, sagte er, seien „die Wundmale, die Narben einer Demokratie, die ihrem eigenen Begriff nicht ganz gerecht wird.“ Mit anderem Worten: Der Rechtsradikalismus ist eine Antwort auf Defizite der Demokratie.

Übertragen auf heute und auf die AfD: Wenn sich Teile der Bevölkerung von demokratischer Teilhabe ausgeschlossen fühlen, haben sie oftmals recht. Sieht man von der bildungsbürgerlichen Stammwählerschaft ab, wählen im Westen überwiegend die Armen, im Osten überwiegend die Landbewohner die AfD. Wählergruppen, deren wirtschaftliche und soziale Belange in den Programmen der übrigen Parteien ebenso unterrepräsentiert sind wie in der politischen und parlamentarischen Agenda. 

Unterrepräsentiert sind dort aber auch die im deutschen Bildungsbürgertum immer noch lebendigen traditionellen rechten Themen und Ideologien – bis hin zum Antisemitismus. Jahrzehntelang wurde das rechte Gedankengut nach 1945 von und in den „bürgerlichen“ Parteien mitgeschleppt und neu geprägt. Doch Typen wie Strauß, Filbinger, Dregger oder einen Roland Koch, der noch 2008 in Hessen einen explizit rassistischen Wahlkampf führte, gibt es heute nicht mehr. Stattdessen haben sich auch die konservativen Parteien weltanschaulich dem liberalen Zeitgeist angepasst. Was aber nicht bedeutet, dass Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus ganz und gar aus den Köpfen aller Politiker und aller Wähler verschwunden wären. Sie sind bloß kein öffentliches politisches Thema mehr.

Insofern kann man die AfD nicht nur als Bedrohung, sondern in gewisser, ironischer Weise auch als einen Glücksfall der deutschen Demokratie betrachten. Sie ist ganz zweifellos ein Feind dieser Demokratie, doch gleichzeitig nimmt diese Feindschaft, nehmen Ausländerfeindlichkeit, nationalistische Borniertheit, Autoritätsgläubigkeit und judenfeindlicher Hass in ihr eine politische Gestalt an. Durch ihre Pöbeleien im Parlament fährt der bislang unterschwellig köchelnde antidemokratische Geist aus der Flasche, gibt sich lautstark zu erkennen. Und wird dadurch bekämpfbar.

Mit den Saalschlachten, die die AfD in den Parlamenten liefert, bietet sie den demokratischen Parteien zwar eine offene Flanke an: Einen solchen Gegner zu kontern, ist nicht schwer. Die verbalen Siege jedoch in ein politisches Programm umzusetzen, mit dem sich die demokratischen Defizite beheben ließen, denen die AfD überhaupt ihre Existenz verdankt, ist eine andere Sache. Doch das andere Gute an der AfD ist ja glücklicherweise, dass sie selbst ein solches Programm weder besitzt noch dazu in der Lage wäre, es politisch umzusetzen.

WDR 3 Mosaik 6. Februar 2023