Der Müll, die Stadt und das Theater

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Bei der Verleihung des bundesweiten Oper-Awards, bei der die besten Opern-Spielstätten prämiert werden, wurde jetzt auch ein Anti-Preis verliehen, genannt „Größtes Ärgernis“. Der ging an die Stadt Krefeld bzw. an den Krefelder Theaterplatz. Der Jury-Vorsitzende und Awards-Gründer, Ulrich Ruhnke, bezeichnete den Umgang der Stadt Krefeld mit dem Theatervorplatz als ein Ärgernis: „Wer in Krefeld in die Oper will, muss sich quer durch die Drogenszene kämpfen. Im Theaterparkhaus wird gedealt. Auf dem Theaterplatz leben die obdachlosen Suchtkranken der Stadt, mit allem, was dazu gehört: Gewalt, Verzweiflung, Zerstörung, Müll, Dreck, Tod.“ Schleichend abgehakt und dem Verfall preisgegeben werde „mit dem modernen Inferno des sozial produzierten Menschenmülls zugleich ein Stück Kultur“.

Spätestens seit Rainer Werner Faßbenders Theater-Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ scheint es einen engen metaphorischen Zusammenhang zwischen Theater, Stadt und Müll zu geben. Demonstranten auf dem Platz vor und im Frankfurter Theater am Turm verhinderten wegen seines vermeintlich antisemitischem Inhalts 1985 die Uraufführung. Denn Müll hatte im Stück nicht nur eine buchstäbliche Bedeutung. Gemeint sein konnten damit auch die Figuren des Stücks, ein jüdischer Spekulant wie auch die Bewohner und Bewohnerinnen des Rotlichtviertels der Stadt Frankfurt. – Menschen also.

Nun gibt es wieder einen Skandal, weil einmal mehr Menschen nicht im, sondern vor dem Theater als Müll bezeichnet wurden. Angeblich, so heißt es in der Begründung des Juryvorsitzenden, behindere ein „Inferno sozial produzierten Menschenmülls“ auf dem Theatervorplatz den ungehinderten Zugang zur Kultur im Dreispartenhaus. Gemeint sind die Obdachlosen, Drogenabhängigen und Bettler, die dort seit Jahren ihren Treffpunkt haben. Und die die Stadt trotz zahlreicher Maßnahmen bisher nicht vertreiben konnte.

Die Frage, warum ein Theatermann solche Menschen als Müll ansieht, der den Zugang zur Kultur behindert, wirft die Frage nach seinem Verständnis von Kultur auf. Die ist für ihn offenbar etwas, was nur in einem von der übrigen Wirklichkeit abgeschotteten Raum stattfinden kann. Kultur muss rein sein, ist allenfalls ein Destillat der Wirklichkeit, nie aber mit dieser selbst kontaminiert. Und die Stadt als die Trägerin und Förderin dieser so verstandenen Kultur hat gefälligst dafür zu sorgen, dass deren Genuss in aseptischen Räumen stattfindet, weiträumig gesäubert von allem, was dem hochsensiblen Publikum eventuell Ekel erregen könnte.

Dem Jury-Vorsitzenden genügen die bisherigen Bemühungen des Krefelder Ordnungsdienstes nicht, die Obdachlosen und Junkies vom Theatervorplatz zu verdrängen. Stellt er sich womöglich radikalere Maßnahmen im Sinne etwa der brutalen „Nulltoleranzstrategie“ vor, mit der New York in den 1990er Jahren alle Schwarzfahrer, Säufer, Obdachlose, Bodenspucker und Baumpinkler aus der Innenstadt verbannte? Oder die Herstellung von obdachlosenfreien öffentlichen Räumen, wie Berlin etwa einen am Hansaplatz schuf: Alle Bänke so schmal, dass man nicht mehr drauf liegen, alle Poller mit Stahlspitzen bewehrt, dass man nicht mehr drauf sitzen kann. Man will nur eilig weitergehen. Unwirtliche Orte. Nicht nur für Obdachlose. Sondern für alle Stadtbewohner.

Stellt man sich den zukünftigen Theatervorplatz in Krefeld als einen solch unwirtlichen und damit auch menschenfeindlichen Ort vor, bedeutet das für viele Besucher sicher eine Befreiung. Unbehelligt von der stinkenden und schmutzigen Wirklichkeit betritt man die heilige Halle der Kultur. Wie aber würden sie sich fühlen, drinnen fiele es einem der Nachfolger Rainer Werner Faßbenders ein, sein Stück nicht von Schauspielern, sondern von echten Obdachlosen, Drogenabhängigen und Bettlern spielen zu lassen?

WDR3 Mosaik 3. März 2023