Die verweigerte Selbsttötung

Veröffentlicht in: Allgemein, Essays & Kommentare | 0

Heute morgen um 10 Uhr wird der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig seine Entscheidung über die Klage von zwei Antragstellern zur Sterbehilfe verkünden. Die Kläger verlangen, dass ihnen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn den Erwerb des zur Selbsttötung geeigneten Medikaments Natrium-Pentobarbital gestattet. Genötigt zur Klage sahen sich die Antragsteller, weil das Bundesinstitut ihnen den Erwerb bisher untersagte und weil andere Gerichte Klagen gegen diese Verweigerung bisher ablehnten. – Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe kippte, scheint es schwer, dem Recht auf Selbsttötung zur Rechts-Wirksamkeit zu verhelfen.

Der Entschluss, sich selbst zu töten, ist immer ein Akt völliger Verzweiflung. „Niemand nimmt sich das Leben“, schreibt der französische Schriftsteller Hervé Le Tellier. „Es gibt nur Gemarterte, die entkommen, indem sie ihren Henker töten“. – Entsprechend schwer fällt es dem Gesetzgeber, rechtliche Regelungen für das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ zu finden. Dass es ein solches Recht gibt, steht im Urteil des Bundeverfassungsgerichts, das 2020 das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe kippte.

Doch scheint es noch lange keinen gesellschaftlichen Konsens über dieses Recht zu geben. Anders ist es nicht zu erklären, wie hartnäckig die Widerstände sind, es auch zu verwirklichen. In diesem Sommer schaffte es der Bundestag nicht, den Auftrag des Verfassungsgerichts umzusetzen und die Sterbehilfe zu regeln. Er lehnte beide Gesetzesentwürfe dazu ab. Damit verwies er die Verantwortung für den geregelten Umgang mit der Hilfe zur Selbsttötung an die Gerichte.

Einen solchen gerichtlichen Umgang aber hatte bereits 2017 das Bundesverwaltungsgericht fixiert, eben jene Instanz, die auch heute wieder angerufen wird. Es hatte geurteilt, dass stark leidende Sterbenskranke gegenüber dem Staat einen Anspruch auf Suizidbeihilfe haben können. Staatlicher Ansprechpartner ist das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“. Doch dieses Institut lehnt es bisher ab, eine Erwerbserlaubnis für das zur Selbsttötung geeignete Medikament Natrium-Pentobarbital zu erteilen. Gegen diese Weigerung richtet sich nun die Klage von zwei Betroffenen.

Die Begründung der bisherigen Ablehnung – Sterbewillige könnten sich doch an private Hilfevereine wenden, die seien ja seit 2020 legal – klingt nicht nur vorgeschoben. Sie ist es auch. Denn der eigentliche Grund ist die politische Gegnerschaft gegen das Suizidhilfe-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017. Die katholischen Bischöfe und die Bundesärztekammer kritisierten es heftig und der damalige CDU-Bundesgesundheitsminister, kündigte an, er werde „alle Möglichkeiten nutzen“, diesen „Tabubruch“ zu verhindern. Staatliche Behörden – und damit meinte er das ihm unterstellte Bundesinstitut für Arzneimittel – dürften nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung werden.

Das Bundesverwaltungsgericht wird heute sein Urteil von 2017 kaum in Frage stellen und wahrscheinlich den Klägern Recht geben. Damit ist aber das Problem, wie die Freiheit zur Selbsttötung in ein gültiges Recht verwandelt werden kann, nicht gelöst. Denn die Ablehnung eines solchen Rechts ist immer noch so lebendig wie 2017. Tabus werden nicht durch Gerichtsurteile aus der Welt geschafft. Das kann nur ein gesellschaftlicher Konsens. Wie schwer der aber herzustellen ist, zeigte das im Sommer gescheiterte Gesetzesvorhaben zur Sterbehilfe im Bundestag.

WDR3 Mosaik 7. November 2023