Der Wahnsinn vor Gericht

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Heute beginnt in Stuttgart der Prozess gegen einen Teil einer Gruppe mutmaßlicher „Reichsbürger“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Es handelt sich um neun Beschuldigte, die dem „militärischen Arm“ dieser mutmaßlich terroristischen Vereinigung angehören. Ihnen wird vorgeworfen, mit dem Ziel eines Staatssturzes mit dem Aufbau von 286 militärisch organisierten „Heimatschutzkompanien“ begonnen zu haben. Die Gruppe dieser seltsam vorgestrigen Gestalten um den senilen Prinzen ist derart groß – man spricht von mehr als 20.000 Personen – dass der Prozess in drei Teile geteilt und später noch in Frankfurt und München gegen andere Organisationsteile fortgesetzt werden wird.

 

Es gibt Schlüsse von vermeintlich unabweisbarer Logik. Beispiel: Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, sondern eine GmbH. Wir alle sind keine Bürger, sondern Angestellte dieser GmbH. Denn, Beweis: Wir haben ja keine Bürger- sondern bloß Personal-Ausweise. – Eigentlich gehörten diejenigen, die dieser Logik folgen, in psychiatrische Behandlung. Was ihnen dann wieder beweisen würde, dass es dieses Deutschland überhaupt nicht geben kann. Jedenfalls nicht als Staat.  Solcher Schlussfolgerung zum Trotz erdreistet sich die Bundesrepublik Deutschland, einige der ungefähr 21.000 Anhänger der GmbH-Logik, die sich auch „Reichsbürger“ nennen, tatsächlich vor Gericht zu stellen. Allerdings nicht, weil sie die Staatlichkeit Deutschlands in Frage stellen und propagandistisch bekämpfen – diese Verrücktheit ist bei uns durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Sondern weil sie sich zum gewaltsamen Sturz des Staates Deutschland verschworen haben. Die angeklagten Verschwörer verfügten bei ihrer Festnahme über nicht weniger als 382 Schusswaffen, 347 Hieb- und Stichwaffen und 148.000 Munitionsteile. Und außerdem über recht detaillierte Pläne, die bestehende staatliche Ordnung Deutschlands mittels eines Putschs gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene zu ersetzen. Die Ressorts der neuen Staatsmacht waren schon verteilt: Als Staatsoberhaupt war Heinrich XIII. Prinz Reuß vorgesehen und für die Justiz wäre die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann zuständig gewesen.  Dass sich einige der Gesinnungsgenossen der Angeklagten unter den schwarz-weiß-roten Fahnen der „Reichsbürger“ im August 2020 bereits aktiv beim Versuch der Erstürmung des Reichstages in Berlin beteiligt haben, wird im Stuttgarter Prozess vielleicht nur am Rande eine Rolle spielen. Es zeigt aber, dass es sich nicht nur um ein paar verirrte oder möglicherweise tatsächlich verrückte Spinner handelt. Sondern um Fanatiker mit demokratiefeindlichen, rechtsradikalen Absichten, die mit kaltem Kalkül unsere staatliche Ordnung zerstören wollen. Der Umstand, dass der erste der insgesamt drei „Reichsbürger“ Prozesse ausgerechnet in Stuttgart-Stammheim stattfindet, dem Ort, wo dereinst der geplante Staatsstreich der Roten Armee-Fraktion RAF verhandelt wurde, geht über eine bloß symbolische Parallele hinaus. Das Gebäude, in dem dieser Prozess stattfand, ist zwar abgerissen. Der Irrsinn, der dort zutage trat, lebt aber noch, wenn sich auch seine Gestalt wandelte. An die Stelle der wahnhaften Ideologie, die sich als Sachwalterin eines vermeintlich revolutionsbereiten Volkes sah, ist der Wahn autoritärer Sektierer getreten. Deren Paranoia und Verschwörungsglaube konnten unter dem Schutzschild der Meinungsfreiheit derart hemmungslos wuchern, dass man jetzt froh sein muss, dass der deutsche Staat dann doch nicht irgendeine GmbH, sondern wie schon zu RAF-Zeiten, immer noch recht wehrhaft ist. 

 WDR3 Mosaik 29. April 2024