Gianfranco Calligarich, Wie ein wilder Gott. Roman. Übersetzt aus dem Italienischen von Karin Krieger. Zsolnay-Verlag. 199 Seiten. 24 Euro
Gianfranco Calligarich galt sowohl in Italien wie in Deutschland bisher als ein „Ein-Buch-Autor“: Einmal in ihrem Leben gelingt ihnen ein bahnbrechender Erfolg, – und danach verstummten sie oder man hat nie mehr etwas von ihnen gehört. Calligarichs betörend wehmütiger Roman „Der letzte Sommer in der Stadt“ erschien 1973 zum ersten Mal und war er ein großer Erfolg, verschwand dann aber auf unerklärliche Weise aus den Buchhandlungen. 2012 aber zum ersten, 2022 zum zweiten Mal wiederholte sich das. So, dass der Zsolnay-Verlag sich nun ermutigt sieht, die Leser mit dem übrigen Werk Calligarichs bekannt zu machen. Sein eben erschienenes Buch arbeitet die Geschichte des italienischen Kolonialismus in Ostafrika auf. Ein Stoff, der Calligarich vertraut sein dürfte: Er wurde 1947 in der früheren italienischen Kolonie Eritrea geboren.
Heute, so viele Jahre nach dieser Reise, kann ich wohl sagen, dass Afrika unvergesslich ist. Ich glaube, das liegt am Licht. An all der Sonne. Aber nicht nur daran. Ein heißer, stummer Windhauch, ungezähmt und alles durchdringend, versetzt dich in die Zeit der Erschaffung des Menschen zurück und gibt dir das nie gekannte Gefühl eines ursprünglichen Abenteuers.
Im Jahr 1933 blickt der im Amt gealterte Präsident der Italienischen Geografischen Gesellschaft von seinem Schreibtisch auf die gegenüberliegende Gartenmauer und lässt darauf wie auf einer Leinwand wehmütig das Abenteuer seiner Afrikasehnsucht vorüberziehen. Doch seine Erinnerungen umkreisen weniger seine eigene als die darin verschlungene Biografie seines gleichaltrigen Landsmannes Vittorio Bottego, eines berühmt-berüchtigten italienischen Afrikaforschers. Von 1892 an hatte der Offizier Bottego im Auftrag des italienischen Staates, getragen und finanziert von der kolonialistischen Stimmung der italienischen Gesellschaft, mehrere gefahrvolle Expeditionen ins heutige Somalia unternommen. Vor der Hand dienten sie der Erkundung der bis dahin unerforschten Flüsse Juba und Omo. Ihr eigentlicher Zweck aber war die schnöde Ausbeutung und Eroberung eines Teils von Ostafrika. Nach brutalen Kämpfen und Plünderungen der einheimischen Bevölkerung gelangt Bottegos Expeditions-Karawane ins Tal des äthiopischen Flusses Dawa.
Es gab Obstbäume und endlose Felder. Dieses Gebiet entsprach unverhofft den Zielen der Expedition. Nämlich Land für die Auswanderer zu finden, die Italien verließen, um in reicheren Ländern zu arbeiten, sich anzusiedeln und Landwirtschaft zu betreiben.
Der Autor, Gianfranco Calligarich, 1947 als Sohn italienischer Auswanderer in Eritrea geboren, lässt keine Details aus, wenn es um die Schilderung der rücksichtslosen Expeditionen Vittorio Bottegos zu den Quellgebieten der Flüsse Juba und Omo geht: Erbarmungslos treibt Bottego die aus der einheimischen Bevölkerung rekrutierten Teilnehmer an, lässt sie auspeitschen, wenn sie nicht mehr weiterkönnen, erschießen, wenn sie zu fliehen versuchen. Und die Dörfer, auf die er stößt, plündert er, wenn sie ihn nicht freiwillig mit Nahrungsmitteln versorgen. Dennoch lässt sich Calligarichs wunderbar flüssig geschriebener und leicht zu lesender Roman nicht so ohne weiteres als postkolonialistische Aufarbeitung des italienischen Imperialismus einordnen. Dem steht die dem Autor eigentümliche Wehmut im Wege, die sich in dem Fall allerdings wohl auch der seinem Text zugrundliegenden Quelle verdankt, den Tagebüchern Vittorio Bottegos: Darin stellt sich Afrikasehnsucht der Kolonialisten am Ende als die Sehnsucht danach heraus, dem eigenen Elend entfliehen zu können und – Gott sein zu wollen.
Nach einer fast zweijährigen Reise, auf der sie viele Kameraden in den Wäldern tot zurückgelassen hatten, würden nun viele Weiße sie auf den Landungsbrücken begrüßen. Aber wie, auf welche Art? Bottego würde schlagartig nicht mehr ihr Gott sein, sondern ein Weißer wie alle anderen. Und so sahen alle vor diesem unermesslichen Meer nur noch der Leere des elenden Lebens entgegen, das sie vor dieser Expedition geführt hatten.
WDR5 Bücher 7. und 8. September 2024