Bei den Bombenangriffen des 2. Weltkrieges wurde die gesamte Kölner Altstadt zerstört. Wie durch ein Wunder überstanden auf dem Fischmarkt dort einzig zwei spitzgiebelige, vierstöckige Häuser. Obwohl sie das Wahrzeichen der untergegangen Kölner Altstadt waren, ging man nicht pfleglich mit ihnen um: Bei der Restaurierung des Fachwerks der Obergeschosse in den 80er Jahre war, wie sich vor kurzem herausstellte, gepfuscht worden. Die Balken waren so marode, dass man sich entschloss, die oberen Stockwerke komplett abzureißen und die Gebäude zum Neubau auszuschreiben. Prompt entbrannte darüber ein Streit, wie man ihn schon in Bezug auf die Frankfurter Altstadt kannte: Modernisierung oder originalgetreue historische Rekonstruktion.
Wir sind jetzt hier am Martinsviertel angekommen, benannt nach der Kirche da oben, Groß Sankt Martin.
Unterwegs mit Stadtführer Michael Markolwitz in der Kölner Altstadt.
Und ihr kommt jetzt von überall her, aus Deutschland, aus Berlin und so und ihr denkt: Guck mal die Kölner! Was haben die für ne schöne Altstadt! Aber ich muss euch leider sagen: Das ist, wie auch mit so vielen anderen Sachen hier, nicht so ganz echt. Das hier, was ihr hier seht, ist das Resultat eines Sanierungsprojekts der Nationalsozialisten aus den 1930er Jahren. Hier war sehr viel Rotlichtmilieu, hohe Kriminalitätsrate, und die braunen Herren hatten große Pläne damals mit Köln. Und die haben dann Mitte der 1930er Jahre angefangen, dieses Viertel hier zu sanieren. Aber wie so oft in Köln, kann man sehen auch hier: Alles Fake, ne. (Lachen der Touristen).
Auch über die beiden Giebelhäuser auf dem Kölner Fischmarkt ist ein Streit entbrannt, ob man mit dem Fake weitermachen oder ob originalgetreu rekonstruiert werden sollen.
Na ja, eine Rekonstruktion ist sowieso nie eine Forderung einer Denkmalpflege, weil dazu haben wir ja auch überhaupt keine Quellen.
Der Kölner Stadtkonservator Dr. Thomas Werner.
(Thomas Werner) Wir wissen nicht – das Haus hat zwar ein Kernfachwerk gehabt – von 1565, aber wir wissen trotzdem nicht, wie es da aussah. Das heißt also, wir haben hier historisch überhaupt keine Quelle, wie es hier historisch aussah. Und insofern ist das eine Fragestellung: Was wollt ihr denn überhaupt wieder aufbauen? Wollt ihr 1935 aufbauen? Wollt ihr aus einer Lithografie von 1836 das als Vorlage nehmen? Oder wollt ihr einen Phantasiebau haben?
Da muss man zuerst mal die Frage stellen: Was ist denn das Original? Es gibt bzw. gab Bauteile, die aus dem 16. Jahrhundert stammen. Dann gibt es vielfältige Um- und Anbauten bis hin in die Zeit des Nationalsozialismus in den 30er Jahren, dann natürlich auch nach dem Krieg, da müsste man erst mal die Frage stellen: Was ist denn originalgetreu?
Der Kölner Architekt Paul Böhm. Er hat im Auftrag eines privaten Investors im Januar dieses Jahres den Entwurf eines Neubaus der beiden Giebelhäuser vorgelegt, der mit dem Stadtkonservator und inzwischen auch mit dem städtischen Gestaltungsbeirat abgesprochen ist.
(Paul Böhm) Wir konzentrieren uns hier auf die Körnigkeit der Baustruktur, auf die Dachlandschaft, auf die Bauform und versuchen dann hier in einem moderaten, zeitgenössischen Duktus das Alte mit dem Neuen zu verbinden.
Der Entwurf ist am Ende des Tages so, dass er an die historische Detailgetreue nicht herankommt. Er ist ziemlich steril, langweilig.
Matthias Beusch von „Stadtbild Deutschland“, einem Denkmalschutz-Verein, der sich auch in Köln für historische Rekonstruktionen stark macht und viel den Böhm-Entwurf heftig kritisiert.
(Matthias Beusch) Und die historischen Details, die diese Gebäude hatten, wir haben die ja alle aufgezählt in unseren Statements: Die Sprossenfenster, die dunklen Fensterumrandungen, auch die unterschiedlichen Fensterformen, insgesamt so sechs unterschiedliche Fenster, die man da sieht, – das ist jetzt eben nur noch eine Fensterform, ziemlich langweilig.
In der Tat nimmt der Entwurf Paul Böhms lediglich die spitzgiebelige Bauweise der beiden oberen Stockwerke auf und vereinheitlicht die Fensterformen, – so, wie es bei fast allen Fassaden in der Kölner Altstadt der Fall ist. Schließlich ist sie insgesamt ja kein Original mehr, sondern stellt eher die Anmutung einer mittelalterlichen Stadt dar.
(Paul Böhm) Ich glaube, dass wir hier eine Version anbieten, die jetzt nicht marktschreierisch und avantgardistisch in die Altstadt pfeffert, sondern dass wir hier versuchen, sehr behutsam auch mit der Nachbarschaft umzugehen und auch mit dem Gesamtensemble umzugehen, – aber da jetzt eine eins-zu-eins-Rekonstruktion von etwas, was nicht die kürzeste Zeit so existiert hat, das haben wir eigentlich nicht so gesehen. Diese zwei Häuser sind einfach nicht die Dresdner Frauenkirche und auch nicht Notre Dame. Und es ist auch nicht Maria im Kapitol. Maria im Kapitol und überhaupt auch die romanischen Kirchen in Köln, sind auch rekonstruiert worden, – das sind natürlich ganz andere Zeitzeugnisse mit ganz anderen bauhistorischen Beziehungen und Werten. Und hier sehe ich das eigentlich nicht so, dass man so etwa eins-zu-eins rekonstruieren muss.
(Matthias Beusch) Ich kann mir im Großen Mühe geben und sagen: Das ist unser kulturelles Erbe. Im Kleinen gilt das aber genauso. Eine Stadt ist am Ende die Summe ihrer Häuser und so eine Altstadt wie Köln hat eben aus vielen kleinen schmalen Giebelhäusern bestanden – und da jetzt diesen Unterschied zu machen, ist eigentlich nicht gerechtfertigt.
Und so werden im Schatten von Groß Sankt Martin die Argumente noch lange hin und her gehen. – Steigt man die Stufen neben der Kirche hinauf, gelangt man zu einem von einem Dutzend sechsstöckigen Wohngebäuden umgebenen, sich an die Kirche anschließenden U-förmigen Platz: Keines dieser Gebäude ist historisch, doch ergänzen sie in der Giebelform vorsichtig die Altstadt-Silhouette und setzen gleichzeitig mit Sichtbeton und Stilelementen der 1970er Jahre selbstbewusst die Moderne in Szene. – Auch so geht Altstadtsanierung.
WDR3 Westart 3. Juni 2025