Mit Franz Hessel durch Berlin. Folge 5: Die Laubenkolonie im Rehbergpark

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Der Schrebergarten wurde zwar von einem Dresdener erfunden und nach wie vor die meisten Schrebergärten in Deutschland gibt es auch immer noch in Dresden. Doch zu einem wahren Kulturgut wurden sie vor allem in Berlin, wo man sie liebevoll „Laubenkolonien“ nennt. Die fünfte und letzte Folge meiner kleinen Reihe „Mit Franz Hessel durch Berlin“ führt in die Laubenkolonie im Berliner Volkspark Rehberge, die auch schon Franz Hessel kannte.

„Das Volk von Berlin arbeitet eifrig, alle Leere zu füllen. Wo Bauland längere Zeit freisteht, hat es seine Schrebergärten, seine Laubenkolonien angelegt, diese rührend gepflegten Stätten mit ein bisschen Haus und Acker, Gemüsebeet und Blumengarten für jede Familie, woraus dann eine blühende Gesamtheit, ein Riesenbeet, ein Tausendblumengarten geworden ist.“

Schreibt Franz 1929.

(Schrebergärtner) Na ja, die Obstbäume da, – hinten hab ick et Jewächshaus, sind Tomaten, Paprika, Peperoni, – hab schon in der Wohnung bei mir oben schon vorgezogen, gerade, was man denn zum Mai hier im Freien auspflanzen kann. 

Wir befinden uns jetzt im Volkspark Rehberge und innerhalb des Volksparks Rehberge in den Kleingartenanlagen, die zum Park dazugehören. Hessel hat in seinem Spaziergang durchs nordwestliche Berlin sehr viele dieser Laubenkolonien vorgefunden.

Der Berliner Stadtplaner Paul Klever.

(Franz Hessel) Wo einst die kahlen Rehberge waren, eine Sandwüste, nur von Schießständen und Schuttablagerungen unterbrochen, sind jetzt bis an den Rand des Kiefernwaldes weite Rasenflächen, Abhänge voll Mohn und Wildrosenbüsche, schneeige Felder von Margueriten.

(Paul Klever) Damals war das auch so, dass die im Volkspark Rehberge sehr wild gewachsen sind. Mittlerweile oder mit der Planung des Parks sind dann die meisten wilden Kolonien abgeräumt worden und stattdessen in so eine mustergültige Kolonie, in der wir uns jetzt befinden, neu organisiert worden.

877 sogenannte Kleingartenanlagen mit rund 71.000 Parzellen gibt es in Berlin. Die ersten und bekanntesten davon entstanden während der Industrialisierung der Stadt im 19. Jahrhundert hier im Stadtteil Wedding. Zunächst wuchsen sie ungeplant auf unbenutzten Brachflächen, später bewirtschaftete sie die Stadt als Ausgleich zu den verheerenden Wohnungsverhältnissen in den Mietskasernen und natürlich auch zur Selbstversorgung der Arbeiter. Immer aber waren sie gefährdet, denn der Grund, auf dem sie standen, war oft Baugrund und somit Spekulationsobjekt.

(Paul Klever) Hier sind wir in einer Kleingartenanlage, die auch vor anderer Nutzung sehr gut geschützt ist. Das ist nicht an allen Orten in Berlin so. Vielfach sind Laubenkolonie ja Bauerwartungsland oder auf nicht genutzten Bahnflächen entstanden. Und in den Flächen haben wir auch immer wieder den Diskurs, ob die Laubenkolonie die endgültige Nutzung dieser Fläche ist, oder ob sich die Fläche noch weiterentwickeln wird.

(Schrebergärtner) Na ja, wir haben hier das Glück, wir sind im Naturschutzgebiet drinne, wir sind ja mittem im Rehberg drinne, dat ist wieder wat anderet. Ich hab schon so viele Kolonien gesehen, oben, Spandau, wenn man da mal rausfährt, da waren nur Kolonien da unten, dat jehörte dann der Bahn oder sonstwem, und die verkoofen dann an die Aldis oder Hochhäuser oder sonstwat, das ist schon ein großet Thema, so wat.

Die Laubenkolonie-Idylle ist in Berlin oft prekär. Schon Franz Hessel sprach 1929 von einem „flüchtigen Dasein, das von Bauwut bedroht ist.“

(Paul Klever) Hessel hat sicher noch viel größere oder viel flächigere Laubenkolonien gerade auch im Wedding vorgefunden. Wir können davon ausgehen, dass genau diese Flächen damals auch noch als Laubenkolonien, – in denen ja auch wirklich Subsistenzwirtschaft für einen großen Teil der Bevölkerung stattgefunden hat, – die damals noch in dem Zustand waren. Da kann man heute noch auf Spurensuche gehen. Wir finden an der Luxemburger Straße beispielsweise noch ganz kleine Reste rudimentärer Kolonien. Das war bis in die 50er Jahre ein großer Teppich an Kleingartenanlagen, der dann der Luxemburger Straße und der Wolthofschule weichen musste. 

Seit 2016 gibt es in Berlin einen städtischen „Kleingartenentwicklungsplan“, mit dem die Bewirtschaftung der Laubenkolonien sowohl dem demografischen Wandel wie auch den städtebaulichen Umbauprozessen angepasst werden soll.

(Paul Klever) Und diese Nachnutzung oder diese Neuentwicklung auf solchen Flächen, die gibt es ja bis heute. Am Saatwinkler Damm sind jüngst Wohnungen aus Kleingärten entstanden. Viele anderen Flächen sind immer wieder in der Diskussion. Und es ist auch in jedem Wahlkampf und in jeder Legislaturperiode ein sehr heißes Eisen, wie mit Kleingärten umgegangen wird.

Nach einer Überarbeitung des „Kleingartenentwicklungsplans“ im Jahr 2020 sollen über 80 Prozent der Kleingärten dauerhaft erhalten bleiben, für zehn Prozent gilt ein Bestandsschutz bis 2030, 15 Kleingartenkolonien aber sollen dem Wohnungsbau weichen.

(Franz Hessel) Sie sehen wie dauernde Paradiese aus, sind proletarische oder kleinbürgerliche Gefilde der Seligen. Die hemdärmeligen Mannsleute, die da säen, Mütter, die gießen, Töchter, die Schoten pahlen, scheinen nie etwas anderes getan zu haben. Sie scheinen lebenslänglich unter Kletterrosen und Sonnenblumen nur mit Petersilie, Mohrrübe und Bohne zu tun zu haben. Und ihre idyllische Arbeit wird nur abgelöst, sollte man denken, von Festlichkeiten, zu denen Nachbarn sich vereinen. – Das Volk von Berlin fürchtet und bekämpft instinktiv alles Chaotische, Unbestimmte, es versucht, so gut es geht, überall aufzuräumen und zu ordnen.

(Schrebergärtner) Jetzt merkt man, dass verstärkt auch Jüngere und auch Familien mit Kindern wieder kommen. Also als ick meinen übernommen hatte, da war ich der Jüngste hier gewesen, 98, aber jetzt merkt man viel, dass Jüngere auch kommen, Familien.

DLF Sonntagsspaziergang 22. Juni 2025