Großwohnsiedlungen haben einen schlechten Ruf. Nicht nur die Plattensiedlungen der DDR. Ähnliches hat man auch in Westberlin gekonnt und gebaut, die Gropiussiedung im Süden Berlins war lange das abschreckendste Beispiel. Wer sich heute dort zwischen den Wohntürmen verläuft, kann nicht glauben, dass Gropiusstadt in den 1950er Jahren nach dem Vorbild der benachbarten Hufeisensiedlung in Britz geplant wurde. Der Mauerbau machte einen Strich durch diese Rechnung. Umso lohnender ein Spaziergang durch das Vorbild Hufeisensiedlung, wohin die vierte Folge meiner kleinen Reihe „Mit Franz Hessel durch Berlin“ führt.
https://www.deutschlandfunk.de/serie-mit-franz-hessel-durch-berlin-die-hufeisensiedlung-4-5-100.html
(Besucher) Und jedes Mal, wenn wir hier sind und Leute aus Steglitz zu uns kommen, dann wird uns die Hufeisensiedlung gezeigt. Und ich sage immer: Ich war schon 1966 als Schüler aus dem Badischen hier. Ja? Und habe es begeistert zur Kenntnis genommen. Es ist ein Kulturdenkmal. Ich ordne es natürlich historisch ein und ich kann jetzt natürlich nicht sagen: Oh wie schön! Aber ich kann nur sagen: Damals eine Vision und großartig!
Auch der Berliner Stadtplaner Paul Klever ist immer noch begeistert von der Hufeisen-Siedlung im inzwischen gar nicht mehr so ländlichen, sondern schon längst von großstädtischer Bebauung eingeholten Siedung im Berliner Süden.
(Paul Klever) Im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut in den 20er Jahren als Wohnsiedlung für die damals immer noch wachsende Arbeiterschaft. Nach damaligen Verhältnissen revolutionären Maßstäben mit ausreichender Versorgung von Wohnraum inclusive moderner hygienischer Anlagen und Küchen.
Ihrem Namen wird die Hufeisensiedlung dadurch gerecht, dass sich ein dreistöckiger Gebäuderiegel mit tausend Wohneinheiten tatsächlich wie ein zum Osten hin offenes Hufeisen um eine große Rasenfläche rundet, in deren Mitte ein Teich glitzert. Strahlenförmig vom „Hufeisen“ ab gehen mit Reihenhäusern bebauten Straßen, die ebenfalls zur Siedlung gehören.
(Paul Klever) Die Hufeisensiedlung ist ja ganz eng mit drei bedeutsamen Namen der Berliner Architektur- und Stadtplanungsgeschichte verknüpft: Bruno Tauts als Architekt der Häuser des Hufeisens. Die Hufeisensiedlung ist aber auch deswegen so visionär, weil sie diese Verschränkung von Freiraum- und Gartenarchitektur zusammen mit dem innovativen Wohnungsbau vereint. Und das ist Leberecht Migge als Gartenarchitekt und Martin Wagner als Stadtplaner und Stadtbaurat zu verdanken, die eben sehr viel mehr dafür gesorgt haben, dass es eine vernünftige Freiraumversorgung für alle Bürger gibt. Deswegen auch diese Anordnung des Hufeisens in einen sehr hellen und mit Frischluft versorgten Rund. Aber eben auch die Gärten, die die Bewohner zur Selbstversorgung mitnutzen sollten.
Das tut auch Susanna Herzberg, die mit ihrem Mann vor 20 Jahren ein Haus in einer der vom Hufeisen abgehenden Straße gekauft hat.
(Susanna Herzberg) Ganz großartig, tatsächlich. Es ist eine schöne geschlossene Anlange und angeblich hat Herr Tauts ja diese toskanischen Farben hier übernommen. Nein, was sehr schön ist, dass kein Mensch etwas verändern kann und ich genieße es sehr, in diesen 20er Jahren-Häusern zu wohnen.
Denn: Die Hufeisensiedlung ist inzwischen ein geschütztes UNESCO-Weltkulturerbe. Und entsprechend gut ist sie auch kuratiert: Im Hufeisen selbst werden Führungen angeboten. Eine der Wohnungen, die im Originalzustand aus den 20er Jahren noch erhalten ist, kann man besichtigen, eine andere kann man sogar zeitweise bewohnen, – also eine Art Urlaub im Hufeisen machen.
(Susanna Herzberg) Ich glaube, es war ja geplant als sozialer Wohnungsbau, war aber dann so werthaltig gebaut, dass dann auch mittleres Beamtentum eingezogen ist. Jetzt ist es sehr gemischt. Was eigentlich ganz nett ist. Hier auf unserer Ecke wohnen noch alte Mieter, die ihre Mietverträge von ihren Großeltern übernommen haben, die wohnen hier, seit sie hier geboren sind in den Wohnungen.
Das ist eine der vielen Siedlungen, die den stärksten Vorstoß in das Chaos der Zwischenwelt, die Stadt und Land trennt, bedeuten.
Franz Hessel 1929.
Wohnungsnot, Schönheitssehnsucht, die Richtung der Zeit auf das Gemeinsame und der Eifer der jungen Architektengeneration waren hier am Werke, menschenwürdige Wohnstätten zu schaffen. Ein Werk, das dauernd fortgesetzt wird und wohl das Wichtigste ist, was zurzeit mit Berlin geschieht. – Dieses neue, werdende Berlin vermag ich noch nicht zu schildern, ich kann es nur preisen.
(Paul Klever) Die Hufeisensiedlung ist auf jeden Fall ein Vorbild für Stadtplanung im 21. Jahrhundert, weil sie so visionär an die Beantwortung von dringenden Fragen und Missständen der damaligen Zeit umgegangen ist und man sieht heute noch, wie aktuell diese Frage sind. Das ist die Bodenfrage, das ist die Frage nach gerechter Verteilung von Wohnraum, ne gesunde Freiraumversorgung und auch eine gute Anbindung an die Stadt – das sind alles immer noch die gleichen Fragen, denen wir heute gegenüberstehen.
Die Hufeisensiedlung war eine der ersten Berliner Siedlungen des Sozialen Wohnungsbaus. Als Reminiszenz an sie plante man in den 1950er in ihrer Nachbarschaft, in Buckow, eine weitere Sozialbau-Siedlung, die Gropiusstadt. Doch als nach dem Bau der Mauer die Fläche knapper wurde, änderte sich die Planung, schossen die Gebäude in die Höhe und Gropiusstadt wurde zum Negativbeispiel für Großwohnsiedlungen. Umso vorbildlich wirkt heute die Hufeisensiedlung.
(Paul Klever) Ich glaube, man würde heute nicht mehr so opulent mit Fläche umgehen, das ist ein Unterschied und deshalb ist es keine eins-zu-ein-Schablone, die man heute wieder aufsetzen kann. Aber der Ansatz, darüber nachzudenken und sich sehr viel zu trauen, das ist auf jeden Fall das, was man in jede Stadtplanung und Quartiersentwicklung im 21. Jahrhundert mitnehmen muss.
DLF Sonntagsspaziergang 15. Juni 2025