German Angst

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Die seit 35 Jahren von der R&V-Versicherung in Auftrag gegebene jährliche Studie „Die Ängste der Deutschen“ wartet in diesem Jahr mit einer kleinen Überraschung auf: Seit 2021 sind die Ängste der Deutschen offenbar – wenn auch nur leicht – zurückgegangen. Und: Die großen Ängste – vor Krieg, Klimawandel und autoritärer Herrschaft – haben den Alltagssorgen Platz gemacht, der Angst vor allem um den eigenen Geldbeutel. Warum aber die Angst vor den Migranten immer noch mit an vorderster Stelle rangiert – obwohl die Asylanträge um die Hälfte zurückgegangen sind, bleibt ein Rätsel des ängstlichen Volkes der Deutschen.

„German Angst“, so nennt man in der Welt das für die Deutschen typische Bibbern vor allem, was aus der Zukunft auf sie zukommen könnte. Nicht umsonst ist Deutschland das Land mit den meisten Angst-Studien. Und nicht von ungefähr ist es gerade eine Versicherung, die alljährlich die bekannteste davon in Auftrag gibt.

Das Ergebnis der diesjährigen Studie kann den Versicherern allerdings kaum gefallen. Denn abnehmende Angst widerspricht prinzipiell dem Geschäftsmodell einer Versicherung. Und doch scheint es so, dass die Deutschen unbesorgter sind als in den Jahren zuvor: Nur im Jahr 2021 lag der sogenannte „Angstindex“ (was für ein deutsches Wort!) niedriger als heute. Die wissenschaftliche Begleiterin der Studie, die Politologin Isabelle Borucki, deutet das als eine Art Krisenmüdigkeit der Deutschen: Sie würden ständig mit Krisen konfrontiert und hätten sich an diesen Zustand gewöhnt. 

Im Ranking der deutschen Ängste liegen die ums Geld auf den vordersten Plätzen, noch vor der Angst vor Krieg oder der Angst vor autoritären Regierungen: Vor allem die Angst vor höheren Preisen und Inflation, die vor Steuererhöhungen und Leistungskürzungen sowie vor steigenden Mieten bringt die Deutschen um den Schlaf. Interessanterweise schiebt sich zwischen diese Ängste auf den zweiten Rang die – so die Sprache der Studie: „Angst vor der Überforderung des Staates durch Geflüchtete“. Was erstaunt, denn im ersten Halbjahr 2025 ging die Zahl der Asylanträge um 50 Prozent zurück.

Angst, das offenbart sich hier, hat wenig mit Fakten, wenig mit dem Tatsächlichen zu tun. Angst ist ein diffuses Gefühl und deswegen leicht politisch zu instrumentalisieren. Das wird besonders augenfällig bei den Sorgen vor Naturkatastrophen und dem Klimawandel. Rangierten die damit verbundenen Ängste in den Untersuchungen der vorangehenden Studien auf den vordersten, rücken sie jetzt auf die Plätze 15 und 16. Das ist schwer nur mit „Krisenmüdigkeit“ zu erklären, denn seit der Katastrophe an der Ahr verdichten sich die Symptome der Klimakrise auch hierzulande von Jahr zu Jahr. Eher hat es wohl damit zu tun, dass für die aktuelle Regierung das Thema „Klima“ nachranging und aus der öffentlichen Diskussion verdrängt ist.

Darum ist das positivste Ergebnis in diesem deprimierenden Angst-Ranking, dass die Jungen im Land das sicherste Gespür dafür haben, wovor man am meisten Angst haben muss: 

Während im Durchschnitt der Bevölkerung die vor einem Krieg lediglich auf Platz neun rangiert, ist es bei den Jugendlichen Platz eins! Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Klimawandel: Bei den Älteren spielt er wie gesagt nur eine untergeordnete Rolle, bei den Jungen dagegen ist die Angst davor ganz stark. Sie scheinen begriffen zu haben, dass es hier um das Überleben aller geht.

WDR3 Mosaik 19. September 2025