Der Kurzfrist-Wahn

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Heute will die EU-Kommission Vorschläge für eine Lockerung des von ihr im Jahr 2022 beschlossenen „Brenner-Aus“ vorlegen. Dieses „Aus“ sah vor, dass ab 2035 neu zugelassene Autos kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Der CO2-Ausstoß durch den Verkehr soll dadurch erheblich reduziert werden. Dagegen macht seit einiger Zeit schon die kriselnde Autobranche mobil. Zu ihrem Sprachrohr hat sich der Chef der der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber von der CSU gemacht. Er will durchsetzen, dass die Obergrenze für das ausgestoßene CO2 nicht mehr, wie ursprünglich geplant, bei Null liegt. Vielmehr macht er sich für eine Reduktion des CO2 Ausstoßes um nur 90 Prozent stark. 

Um zu wissen, dass „das Kapital“ sich von kurzfristig zu erreichenden Zielen mehr Erfolg verspricht als von nachhaltigen, braucht man nicht Karl Marx gelesen zu haben. Die Wirtschaftsgeschichte lieferte unendlich viele Beispiele dafür, dass Einsparungen etwa von Personal und Forschung, um schnell Gewinne zu erzielen, auf Kosten der Substanz von Unternehmen gehen und langfristig ihren Ruin bedeuten. Auch braucht man Marx nicht gelesen zu haben, um zu wissen, dass Profitinteressen sich nicht um den Erhalt der Natur scheren. Der Zustand unserer heutigen Welt und insbesondere des Klimas liefert den sinnfälligen Beweis.

Die Debatten, die darum geführt werden, den 2022 von der EU gefassten Beschluss des Verbrenner-Aus für 2035 wieder aufzuweichen, liefern außerdem den Beweis dafür, dass das Kurzfrist-Denken nicht nur die Köpfe vieler Kapitalisten, sondern auch das vieler Politiker beherrscht. Ein Beispiel liefert der Kanzler, wenn er in einer typischen Verdrehung von Ursache und Wirkung behauptet, man könne nur etwas für den Klimaschutz tun, wenn man eine „wettbewerbsfähige Industrie“ habe.

„Wettbewerbsfähig“ will die deutsche Autoindustrie bleiben, indem sie die Politik drängt, das beschlossene „Aus“ zurückzunehmen. Der CO2 Ausstoss soll, nun nicht mehr um hundert Prozent reduziert werden, so dass er auf Null zurückgeht. Er soll nur noch auf neunzig Prozent reduziert werden. Etwa dadurch, dass die Technologie von Verbrennern verbessert, effizienter gemacht wird, z.B. durch Hybrid-Antriebe. So, dass, wie EVP-Chef Weber von der CSU es in Brüssel durchsetzen will, auch ab 2035 neu zugelassene Autos weiter CO2 ausstoßen dürfen. Wobei sein Chef Markus Söder bereits angekündigt hat, dass „zehn Prozent Verbrenner nicht ausreichen“. 

Die Einsicht, dass der kurzfristige Verfolg von Interessen wenn überhaupt nur kurzfristig hilft, langfristig aber schadet, ist zwar dem Denken vieler Politiker verschlossen. Nicht aber dem von Ökonominnen wie etwa der „Wirtschaftsweisen“ Monika Schnitzer. Sie sagte, der vom Kanzler behauptete „Wettbewerbsvorteil“ sei nicht dauerhaft und löse weder die aktuellen Probleme der Autohersteller noch sichere er Industriearbeitsplätze in Deutschland. 

Auch nach Meinung vieler anderer Wirtschaftswissenschaftler hat die deutsche und auch die europäische Autoindustrie viel zu lange auf Verbrennungsmotoren gesetzt und leidet deshalb an technologischen Rückständen, etwa bei Batteriezellen. Sie habe den Anschluss an eine mit China konkurrenzfähige Elektromobilität verpasst. Eine Verzögerung des Verbrenner-Aus verschaffe den chinesischen Autobauern noch mehr Vorsprung. Denn die Zukunft gehöre nun einmal der Elektromobilität. – Ach übrigens: Nach einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe stoßen die Dienstwagen deutscher Politiker deutlich mehr CO2 aus als ein durchschnittliches deutsches Auto. 

WDR3 Mosaik 16. Dezember 2025