Mit Franz Hessel durch Berlin. Folge 1: Pankow und Niederschönhausen

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„‘Spazieren in Berlin‘“, schrieb Walter Benjamin 1929 über das eben erschienene Buch seines Freundes Franz Hessel, „ist ein Echo von dem, was die Stadt dem Kinde von früh auf erzählte. Ein ganz und gar episches Buch, ein Memorieren im Schlendern, ein Buch, für das Erinnerung nicht die Quelle, sondern die Muse war. Nur ein Mann, in dem das Neue sich, wenn auch still, so deutlich ankündigt, kann einen so originalen, so frühen Blick auf dies eben erst Alte tun.“

„Das Neue“, das beim Flaneur Franz Hessel sich 1929 ankündigte, ist jetzt bald auch schon wieder 100 Jahre alt. Deshalb lohnt es sich nachzuschauen, was daraus geworden ist und zu fragen, warum es so geworden ist. Wer sich heute in Berlin auf Franz Hessels Fährte begibt, kann zwar immer noch vieles von dem entziffern, was er damals sah. Doch ob es so geworden ist, wer er es sich damals gewünscht hätte, ist eine andere Frage. Ob es aber zwangsläufig so geworden ist, ist eine Frage, die am besten ein für in der Stadt Berlin tätiger Stadtplaner beantworten kann, Paul Klever. Er soll neben Franz Hessel der zweite Cicerone auf den Spaziergängen durch Berlin sein.

Auf ihnen werden nicht die Wege abgeklappert, die heute jeder Berlin-Tourist geht, die „Mitte“ meiden wir also ebenso wie die anderen „In“-Viertel, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg. Dort ist Hessel natürlich auch lang gegangen, ihn haben aber ebenso die ländlichen, ja dörflichen Ränder von Berlin interessiert. 

„Pankow“ ist für viele immer noch das Synonym für die DDR-Herrschaft. Das kommt daher, dass die DDR-Elite in den fünfziger und sechziger Jahren in den von den Sowjets nach 1945 beschlagnahmten herrschaftlichen Vollen am Majakowski-Ring, in unmittelbarer Nähe zum Schloss Niederschönhausen, wohnte. Heutige Besucher müssen sehr aufmerksam sein, um das noch erkennen zu können. Denn nur an ganz wenigen Häusern finden sich noch Hinweisschilder zu ihren früheren Bewohnern. Und das Schloss, das Franz Hessel 1929 noch verrammelt vorfand, beherbergt heute ein gut besuchtes Museum.

„Auf einer Trambahn lese ich: Pankow, Niederschönhausen. Ich springe auf.“ – Schreibt Franz Hessel 1929: „Und nun fahr ich durch dieses seltsame Gemisch von Großstadt und Gartenstadt, wo es Musterbeispiele von allem gibt, dazu noch den Schlosspark mit seinen alten Eichen und den Bürgerpark mit dem stolzen Toreingang, die üblichen Vorstadtstraßen und halb dörfliche, mit den leiben, etwas eingesunkenen Häuschen derer, die vor bald hundert Jahren hier aufs Land zogen, dann nahe bei Villen vornehmer Bankiersfamilien Baracken, die aus der Kriegszeit stammen und weiterhin Kleingartenkolonien.“

(Paul Klever) Wir laufen die Panke entlang vom Pankower Bürgerpark, flussaufwärts bis zum Schloss Niederschönhausen. Zwischen diesen beiden sehr, sehr gut gepflegten und schönen Parkanalgen, verlässt man das Panke-Ufer, läuft durch die parallele Parkstraße und wir sehen hier, wie die Stadt eine andere Entwicklung nach außen macht. Hier gibt es den Bruch hin zu einem sehr bürgerlich geprägten, fast schon großbürgerlich von großen Villen geprägten Stadtteil Niederschönhausen rund um das Schloss.

Der Berliner Stadtplaner Paul Klever.

(Paul Klever) In Berlin findet man beide Kontinuitäten oder Diskontinuitäten oft vor: Es gibt diese harten Brüche, wo die Stadt der Gründerzeit nicht weiter gebaut wurde, wo hohe Häuser gegenüber stehen von Kleingartenanlagen oder alten Dorfkernen. Hier in Pankow ist das Kontinuum sehr viel logischer, also die Bebauung nimmt langsam ab, die Grundstücke werden größer, die Häuser werden etwas opulenter, man kommt aus der dichteren Stadt hinaus in eine etwas lockerere Villenbebauung, bevor man dann – sehr viel weiter nördlich vom Stadtrand von Pankow in dieses Ländliche hineinkommt.

(Anwohnerin) Man fühlt sich sehr gut, also inmitten der Geschichte fühlt man sich sehr gut. Dass man hat viel aus der Geschichte entdecken kann, wer hier mal gelebt hat.

Was die Anwohnerin mit „Geschichte“ meint, wird klar, wenn man auf die Straßenschilder die Ringstraße schaut, an die sich das Schloss Niederschönhausen anschließt. Es ist der Majakowski Ring.

(Paul Klever) Der Majakowski-Ring ist ja historisch über die Grenzen von Berlin hinaus bekannt. Nach der Teilung der Stadt und der Einrichtung der Regierung ist Ostberlin, ist der Majakowski-Ring auserkoren worden als Wohnsiedlung der Regierenden. Es war die Ansiedlung mehrerer Mitglieder des Ministerrats, da hat der Staatspräsident residiert und das war ja auch der Grund, warum in Westdeutschland der Name Pankow, in dem das Ganze stattfindet, als Synonym für das politische Ostberlin gezählt hat.

Im Majakowski-Ring reiht sich eine prächtige, nach 1945 natürlich enteignete Millionärs-Villa an die andere: In Nummer 14 wohnten bis 1960 Erich und Margot Honecker, in Nummer 63 Günter Schabowski und in Nummer 34 Johannes R. Becher, Verfasser der DDR-Nationalhymne…

(Anwohnerin) Also für mich ist es nichts Negatives. Weil es wirklich geschichtlich von Bedeutung ist und gehört mit dazu. Und ich benutze es immer dazu – zum Beispiel, wenn Besuch ist. Zum Beispiel die Eltern von meinem Partner, kommen aus Baden-Baden, die finden es toll. Die führ ich dann da rum, also die saugen das auf. Die haben das Gefühl, die sind mittendrin in dieser Geschichte. 

(Franz Hessel) Und dann in Parkeinsamkeit das Schlösschen von Niederschönhausen, ganz verlassen und verschlossen. Da wohnte zur Sommerzeit Friedrich des Großen Gemahlin, die arme Elisabeth Christine. Von dieser Vergessenen würde man, glaube ich, selbst wenn man in das Schloss hineinkäme, keine Spur finden.

Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Das Schloss Niederschönhausen wurde in den 30er Jahren rekonstruiert, nach Gründung der DDR diente es als Sitz der Präsidenten und des Staatsrates, danach als Gästehaus der DDR. In seinem Kasino tagte nach der „Wende“ der sogenannte Runde Tisch, 1990 fand hier eine der sogenannten Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen statt. Heute ist es ein Museum.

(Anwohnerin) Also ich bin gerne hier, ich bin gerne auch dort im Park. Wenn Ausstellungen sind, gehe ich schon mal ins Schloss. Dann gibt’s ja auch diesen Handwerkermarkt im Park, ist auch ganz schön.

(Paul Klever) Ich glaube, wenn man sich hier umschaut, hier am Majakowski Ring, da kommt man sehr schnell drauf, dass es hier sehr lebenswert ist. Zumindest kann man vom Ausmaß der Wohnfläche, die man dort hat, und den wunderschönen Gärten und den sehr schönen Fassaden, kann man davon ausgehen, dass sich die Leute das leisten können an der Stelle.

Allerdings nicht alle. Niederschönhausen ist heute weitgehend gentrifiziert.

(Anwohnerin) Und zu der Zeit, wo ich hergezogen bin, also ich leb‘ jetzt seit 20 Jahren hier, waren die Mieten noch humaner; also, wenn ich jetzt höre, dass alle, die zuziehen, die zahlen das Doppelte von dem. Das ist so – weiß ich nicht – dass sich das so verändert hat. Also es gibt einen riesigen demografischen Wandel hier, so ein bisschen auch Verdrängung. Die, die ewig hier wohnen, wenn ich die höre, die fühlen sich nicht mehr ganz so wohl, wahrscheinlich aus dem Grund. Weil die das Bild noch anderes kennen. Weil sie merken, dass die sozialen Schichten sich verschieben.

DLF Sonntagsspaziergang 25. Mai 2025