Sebastian Haffner, Abschied

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Sebastian Haffner, Abschied. Roman. Mit einem Nachwort von Volker Weidermann. Hanser Verlag. 192. Seiten. 24 Euro

Mehr als 90 Jahre lang lag Sebastian Haffners Roman in der Schublade. 1932, das Jahr, in dem er ihn schrieb, war nicht die Zeit für die Veröffentlichung einer heiter-melancholischen Liebesgeschichte. Jetzt hat sich Haffners Familie entschieden, das Buch freizugeben.Sebastian Haffner, der berühmte Historiker und Publizist, emigrierte 1938 vor den Nazis nach England und nahm dort seinen neuen Namen an. Davor hieß er Raimund Pretzel und dieser Raimund Pretzel war vierundzwanzig Jahre alt, als er den jetzt von seiner Familie erstmals zur Veröffentlichung freigegebenen Roman schrieb. Und zwar im Herbst 1932 in Berlin, kurz vor der Machtergreifung der Nazis. Er selbst hat diesen Roman, den er vielsagend „Abschied“ nannte, nie veröffentlicht. Zum einen schien ihm, wie er selbst später sagte, eine melancholische Liebesgeschichte nicht in die Zeit zu passen. Zum anderen waren ihm die der Geschichte zugrundeliegenden Erlebnisse vielleicht noch zu nah. Diejenigen, die den Roman schon vor seinem Ersterscheinen lesen konnten, sind begeistert: „Was für ein federleichter Roman“, schreibt Iris Berben. Und Uwe Wittstock meint: „So herzzerreißend und doch so cool geschrieben.“ – Man kann den Roman aber auch ein ganz klein wenig kritischer anschauen.

Es gibt eine Euphorie des Abschieds. Es war plötzlich so, als hätten wir noch eine ganz lange, herrliche, ungestörte Zeit. Die Bahnhofsuhren zeigten zwanzig vor zehn. Wir gingen rasch am Zug entlang und ich hielt Teddys sehr kleine Hand in meiner und es war alles so, als könne es gar nicht aufhören.

Ja, so wünscht sich Raimund, der junge Erzähler, seine Liebesgeschichte mit der noch etwas jüngeren Teddy: Dass sie nie enden möge. Dabei war sie doch im letzten Jahr eigentlich schon zu Ende! Da hatten sich die beiden im Berliner Tiergarten beim Tennisspielen ineinander verliebt. – „Teddy“, um die es in diesem autobiographisch fundierten Roman geht, hieß im wahren Leben Gertrude Joseph und war die Tochter jüdischer Eltern. Nach einer kurzen Romanze mit Raimund war sie 1930 zum Studieren nach Paris gezogen. Jetzt, ein Jahr später, besucht er sie dort, möchte die Beziehung auffrischen und womöglich fortsetzen. Doch das ist schwieriger, als er sich erhofft hat, denn Teddy lebt im Quartier Latin inmitten eines großen Kreises fröhlicher junger Menschen – und Verehrer.

Ich tat mir unendlich leid. Was half mir denn alles, wenn so ein Franz Frischauer ankam und mich mit seiner Schönheit, seiner Krankheit, seinem Geldmangel, seiner reizenden süddeutschen Zunge einfach an die Wand spielte? Ich konnte mir nicht helfen, ich tat mir furchtbar leid. Ich war der arme, ehrliche, gute, treuherzige Liebhaber, und er der große, glänzende, eitle, leichtsinnige Abenteurer.

Ob dieser Franz tatsächlich ein ernst zu nehmender Konkurrent ist, lässt die lebenslustige Teddy lange offen, und so kommt es zu ebenso ausdauernd wie lustvoll ausgetragenen Plänkeleien zwischen den dreien.  – Dieses fröhliche Hin und Her in den zahlreichen Cafés und Restaurants entlang des Boulevard Saint-Michel, das sorglose Auskosten jugendlicher Freiheit, atmet einen ähnlich frischen Geist wie Kurt Tucholskys 1931 erschienene heiter-melancholische Liebesgeschichte „Schloß Gripsholm.“ Und wie Tucholsky es verstand, in die Unbeschwertheit seiner Liebesgeschichte auch dunkle Farben zu verweben, so gelingt es auch Sebastian Haffner, in seinen Roman eine Vorahnung auf das kommende Unheil einzubauen. Raimunds Rivalen, den lautstarken Franz lässt er beschwipst den kommenden Krieg heraufbeschwören.

„Ich bin ja so wütend, sag ich Ihnen, ich möcht gleich Krieg gegen Frankreich führen, aber so richtig, mit Gift und Galle. Ich möchte mit Maschinengewehren schießen. Oder, was gibt’s denn noch? Gasbomben.“ „Flammenwerfer“ sagte ich. „Flammenwerfer“, sagte er. „Das möchte ich. Ich habe eine hübsche Wut im Bauch.“

Als sich schließlich herausstellt, dass dieser Franz gar keine ernsthafte Konkurrenz darstellt, ist es fast schon zu spät: Raimunds Zug geht in wenigen Stunden ab – und Teddy hat ihm immer noch nicht gestanden, ob sie seine Liebe erwidert. Aber liegt es nicht auch an Raimund? Verhält er sich Teddy gegenüber nicht viel zu passiv? – In vielem erinnert dieser Raimund auch einen anderen großen Zauderer der deutschen Literatur, an Erich Kästners Fabian, den „Helden“ des ebenfalls 1931 erschienenen Romans. – 

Sebastian Haffners „Abschied“ gehört somit zu den „klassischen“ Romanen dieser deutschen Umbruchzeit – zwischen der überschwänglich-morbiden Aufbruchstimmung Ende der 20er Jahre und dem finsteren Schatten, den die Naziherrschaft schon auf Geist und Gemüt warf, bevor sie überhaupt begann. – Als Leser hätte ich mir gewünscht, der Autor, also Sebastian Haffner selbst, hätte sich sein frühes Werk vor der Veröffentlichung noch einmal vornehmen können, vor allem die Dialoge. Manchmal plätschern sie dahin, Argumente wiederholen sich, der Witz verpufft. Klar wird schon, was gemeint ist: Teddy und Raimund reden ununterbrochen drumherum, weil sie unentschieden sind. Eine straffende Überarbeitung hätte das pointierter anschaulich machen können. Sieht man davon einmal ab, macht „Abschied“ Spaß zu lesen, vor allem, weil der Roman es glänzend versteht, die Stimmung dieser Zeit wiederzugeben. Und: Weil er am Ende doch ein Fünkchen Hoffnung zulässt, dass es noch einmal gut gehen könnte, mit der Liebe – und vielleicht auch sonst.

Aber Teddy – sie hatte noch ihre kleine geflochtene Kappe auf dem Hinterkopf – drehte sich noch einmal zu mir und kam wortlos und lächelnd auf mich zu und legte mir die Hände auf die Schultern, indem sie den Kopf anhob. Kein Ende! Kein Ende! Ich nahm Teddy ihre kleine Kappe vom Kopf und warf sie hinter ihre Schulter aufs Bett. Mir war, als würfe ich sie über den Rand der Welt.

Gertrude Joseph, die „Teddy“ aus Haffners Roman, überlebte ebenso wie Haffner selbst den Nationalsozialismus in der Emigration. Sie emigrierte nach Schweden und hielt von dort Jahrzehnte lang einen freundschaftlichen Briefkontakt mit Sebastian Haffner.

WDR3 Westart Lesen31. Mai 2025