Mit Franz Hessel durch Berlin. Folge 2: Rixdorf

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Dass alte großstädtische Amüsierviertel wiederbelebt werden, mag man als ein Symptom der Gentrifizierung von Großstädten betrachten. Oder auch als ein Glück ihrer Bewohner, weil es etwas wiederzuentdecken gibt. – Die zweite Folge unserer kleinen Reihe „Mit Franz Hessel durch Berlin“ führt in den südlichen Stadtteil Berlins, Rixdorf, vor dem Ersten Weltkrieg ein Ort noch quasi dörflicher Tanzlokale, zu denen man wegen der „Musike“ hinausfuhr…

https://www.deutschlandfunk.de/serie-mit-franz-hessel-durch-berlin-rixdorf-2-6-100.html

„Um seiner selbst willen Neukölln aufzusuchen, dazu kann man eigentlich niemandem raten…“ Schreibt Franz Hessel im Jahr 1929. „Es ist eine der Vorstädte, die in den siebziger Jahren kaum zehntausend Einwohner hatten und jetzt zwischen zwei- und dreihunderttausend haben. Eine traurige Gegend, wo abends arbeitsmüdes Volk aus überstopften Trambahnen steigt und viel kümmerliche Kinder auf der Straße herumtreiben. Als sie noch Rixdorf hieß und Ausflugsort war, mag sie interessanter gewesen sein. Musike ist nicht mehr in Neukölln, wie sie, nach dem bekannten Liede zu schließen, in Rixdorf gewesen ist.“

Schade, dass Franz Hessel das nicht mehr erleben kann! Denn die Musike ist jetzt zurück in Rixdorf! Ein wenig ist es hier jetzt wieder wie früher, als es die Berliner am Wochenende hinaus vor die Stadttore in die dörflichen Ausflugslokale zum Tanz und billigerem Alkohol als innerhalb der Stadtgrenzen zog. – Heutige Besucher und Anwohner können das Glück genießen, hier nun ganz stadtnah immer noch eine gleichsam dörfliche Idylle zu erleben.

(Anwohner) Also man kommt hier teilweise hin, um so ein bisschen zu entspannen und hat auch wirklich nicht mehr das Gefühl, in Neukölln zu sein. Das ist schon schön. Und wenn man drei Straßen weitergeht, da ist man direkt auf der Sonnenallee und da ist halt Halligalli (lacht).

Zuerst war das Dorf, Rixdorf, da, – wir stehen ja jetzt hier auf der Richardstraße, die eigentlich die Verbindungsstraße zwischen Berlin und Rixdorf, auf dessen Dorfkern wir jetzt zulaufen, die Verbindungsstraße war. 

Ist man mit dem Berliner Stadtplaner Paul Klever unterwegs, erfährt man nicht nur etwas über die derzeitige Stadt, sondern auch sehr viel über ihre Geschichte, über ihre gewachsenen Strukturen.

(Paul Klever) Und von hier aus hat sich dann das Dorf Rixdorf, das im Laufe der Jahre des späten 19. und dann im 20. Jahrhundert zur Stadt geworden ist, eben ausgebreitet. Andersherum kann man sagen, ist es dann mit der Industrialisierung, mit Berlin eben, mit Kreuzberg im Norden, so zusammengewachsen, dass dann ein fließender Übergang war.

Im südlichen Berliner Stadtteil Rixdorf finden sich noch sehr viele Spuren des alten Dorfes Rixdorf, obwohl es inzwischen von der Großstadt Berlin in Gestalt des Bezirks Neukölln sozusagen verschluckt worden ist 

(Paul Klever) Wir haben da wirklich immer noch alte Hofstrukturen, – es gibt hier in der Richardstraße, wo sich mit einer Scheune, mit Bauernhöfen und freien Gärten immer noch diesen dörflichen Kern erhalten hat. – Also jetzt laufen wir weiter auf den Richardplatz, wo denn gleich auch die alte Dorfkirche von Rixdorf steht, und die Form des Richardplatzes ist eine typische Angerdorfform, wie sie im Berliner Umland, in ganz Brandenburg, immer noch aufgebaut ist. Die Straße läuft um einen inneren Platz rum, eine Freifläche, die häufig dann auch gemeinschaftlich genutzt war; als erste gemeinschaftliche Nutzung ist dann meistens die Kirche drauf gebaut worden, das ist hier auch so. – Hier steht noch die Schmiede mit drauf. Auch das ist so ein typisches Charakteristikum von Rixdorf und auch vom Angerdorf allgemein. Und wir sehen am Richardplatz, wie dann eine eingeschossige alte Bauernkate neben einem fünfgeschossigen Mietshaus mit Hinterhaus, wie man es als Berliner Arbeiterwohnen kennt.

(Franz Hessel) Übrigens habe ich nur geringe Kenntnisse von dieser Vorstadt. Seine neueren Denkmäler, darunter einen Friedrich Wilhelm I., dem König als Ansiedler der frommen Böhmen gestiftet, habe ich mich bisher noch nicht entschließen können zu besichtigen.

Heute dagegen lohnt sich das auf jeden Fall! Die 1737 für böhmische Religionsflüchtlinge gegründete kleine Gemeinde „Böhmisches Dorf“ ist heute zu einer quasi dörflichen Idylle rekonstruiert – mit alten Straßenlaternen, kopfsteingepflasterten Straßen und Häuschen mit üppigen Vorgärten.

(Paul Klever) Wir stehen jetzt vor dem Denkmal von Friedrich Wilhelm I., der mitverantwortlich war für den Teil von Rixdorf, der auch Böhmisch Rixdorf oder Böhmisches Dorf heißt. Mittlerweile sind die miteinander verwachsen, diese beiden Ortsteile. Wenn man auf ganz alten Karten guckt, sieht man nebeneinanderstehend Böhmisch Rixdorf – da waren wir gerade, rund um den Richardplatz, – und eben Deutsch-Rixdorf daneben, die dann zusammengewachsen sind zu dem großen Rixdorf. Und dann später umbenannt in Neukölln, zu dieser Großstadt Neukölln, die dann in den 20ern mit Berlin verschmolzen ist.

(Anwohner) Also ich würde auch gerne eine Wohnung direkt am Richardplatz haben, – aber das ist echt unmöglich gerade, hier eine zu bekommen. Also man hat das Beste aus beiden Welten, also wenn man hier so hinkommt, ist man im Erholungsgebiet fast, fast wie auf dem Dorf.

(Paul Klever) Was man eben hier in Rixdorf immer noch findet, sind, wie in einem Dorf auch, sind so kleine Gänge entlang des Gartenzauns oder zwischen den einzelnen Grundstücken hindurch. Und das ist ziemlich spannend. Und gerade für einen Spaziergang ganz andere Blicke, die man da hineinbekommt. – Viele haben hier noch sehr gut gepflegte Gärten. Auch der Tag des Offenen Gartens ist in Rixdorf immer ein besonderes Highlight. Und in den Scheunen sind jetzt natürlich auch viele Ateliers, aber immer noch einzelne Werkstätten drin, wo wirklich noch Handwerk betrieben wird.

Und: Das hätte Franz Hessel sich im Jahr 1929 nicht so ohne weiteres vorstellen können: Es gibt jetzt wieder viele angesagte Lokale hier.

(Anwohner) Genau, ja. Mein Lieblings- neues Lokal ist also dieses „Mausi“ hier um die Ecke, das ist wirklich sehr nett da, das ist so eine Mischung aus Bar und Kneipe und Restaurant, – das finde ich sehr nett.

DLF Sonntagsspaziergang 1. Juni 2025