Heute um 13 Uhr 30 beginnt im Bundestag die Erste Lesung des von der Bundesregierung in Person des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius vorgelegten Gesetzes zur „Modernisierung des Wehrdienstes“. Üblicherweise diskutiert das Parlament bei der ersten Lesung ein Gesetz. Die Änderungsvorschläge wandern anschließend in die Ausschüsse und kommen dann in der zweiten bzw. der dritten Lesung wieder ins Parlament. Doch bereits zwei Tage vor der ersten Lesung, also am Dienstag, trafen sich Abgeordnete sowohl der SPD wie der CDU/CSU, um Änderungen am vorzulegenden Gesetz vorzunehmen. Um, wie es hieß, größere Meinungsverschiedenheiten nicht auf „offener Bühne“, also im Parlament, auszutragen. Bereits in diesem antiparlamentarischen Procedere begann leise ein der Koalition wohl innewohnender Selbstzerstörungsmechanismus zu ticken…
Natürlich liegt es nahe, angesichts des Verhaltens der Koalition die Psychoanalyse zu bemühen und Freuds Theorie des Destruktionstriebes auf die aktuelle Politik anzuwenden. Aber so tief muss man gar nicht graben. Es reicht, sich auf den visionären belgischen Comiczeichner Hergé zu beziehen. Der hatte bereits 1952 im 16. Band von Tim und Struppi, „Reiseziel Mond“ die Idee eines Selbstzerstörungsmechanismus: Auf Anraten von Tim bauen die Konstrukteure einen solchen in die Mondrakete ein, für den Fall, dass sie in die Hände einer feindlichen Macht gerät.
Dass die derzeitige Bundesregierung, sprich die schwarz-rote Koalition, wenn auch ungeplant, über einen solchen Mechanismus verfügt, offenbarte sich bereits bei der geplatzten Wahl der Verfassungsrichter oder bei der Senkung der Strompreise. In beiden Fällen zündete der Mechanismus freilich nicht. Noch nicht. Jetzt, vor der ersten Lesung zum „Wehrdienst-Modernisierungsgesetz“ heute Mittag tickte er aber wieder einmal. Es begann damit, dass Unterhändler beider Fraktionen noch vor der Ersten Lesung Veränderungen an der Gesetzesvorlage vornahmen und diese am Dienstag in einer Pressekonferenz vorstellen wollten. Doch da der SPD-Fraktion diese Veränderungen – u.a. ein von der CDU eingebrachtes Losverfahren – nicht passten, platzte die Konferenz.
Pistorius tobte und wurde seitens der CDU prompt der Destruktion bezichtigt, obwohl er nur auf dem üblichen parlamentarischen Procedere bestanden hatte. Dass die wahre Destruktion aber wohl eher im Verhältnis der Koalitionäre zueinander angelegt sein könnte, verkennt auch die Opposition, die verharmlosend von amateurhaften Verhalten spricht. Statt amateurhaft hätte sie besser „verantwortungslos“ und „undemokratisch“ gesagt.
Verantwortungslos ist das gegenseitige Misstrauen, mit dem sich die beiden Koalitionäre bei jeder sich bietenden Gelegenheit begegnen. Wohin diese Verantwortungslosigkeit führt, hatte sich bereits bei der geplatzten ersten Wahl der drei neuen Verfassungsrichter gezeigt. Man war AfD-nahen Medien auf den Leim gegangen, folgte rechtsextremer Propaganda – und zerstörte damit das Vertrauen ins geregelte parlamentarische Verfahren – und in dessen demokratische Legitimität.
Das wiederholt sich jetzt bei dem überflüssig erscheinenden Gezänk um das Gesetz zur „Modernisierung des Wehrdienstes“: Um sich innerhalb der eigenen Fraktionen zu profilieren, sabotieren die Koalitionäre eingeübte und bewährte parlamentarische Verfahren, führen sie ad absurdum, machen sie lächerlich. Das Gezänk ist nämlich weder zufällig noch überflüssig, eher ist es gewollt. Dahinter erscheint ein Wille zur Destruktion. Zur Destruktion des Parlaments – und damit der Demokratie überhaupt. – Bei Tim und Struppi funktioniert übrigens der Selbstzerstörungsmechanismus der Testrakete und wird in Gang gesetzt, als Tim erkennt, dass sie von einer feindlichen Macht übernommen wurde. – Im Fall der schwarz-roten Koalition scheint diese feindliche Macht sie selbst zu sein.
WDR3 Mosaik 16. Oktober 2025